31.05.-12.07.2025
Boriana Pertchinska
Bestien
Vernissage
Samstag 31. Mai 18:00-21:00 | 19:00 Offizielle Willkommensrede und A-capella-Performance der
Terzenbrecher
Bestien. Vor ihnen hat man sich zu fürchten, sie sind wild, mächtig, fremdartig, unheimlich und verbannt aus dem sicheren Hort der Zivilisation. Liegt es an einer dunklen, uralten Verwandtschaft, dass der Mensch trotzdem seit jäh von ihnen fasziniert war und ist? Die 1974 in Sofia geborene und seit 2012in Berlin wirkende Künstlerin Boriana Pertchinska interpretiert die in ihren Arbeiten auftauchenden mythologischen und symbolisch aufgeladenen Tierwesen neu: „Bestien“ als Verkörperungen verborgener Kräfte und innerer Dämonen. Im Sprung hervorschnellende Tiger, schlangenhaft gewundene Drachen, zähnezeigende Raubfische — in all diesen Tierwesen scheint das innere Sein eines Menschen Gestalt angenommen zu haben.
Formal und inhaltlich arbeitet die Künstlerin mit Bipolarität. Die meisten ihrer Werke sind Diptychen, also Doppelbilder. Im Binnenraum jedes an der Mittelachse gespiegelten Doppelbildes entsteht ein Dialog zwischen beiden Seiten. Die ganze Bedeutung jedes Kunstwerkes erschließt sich erst aus der spannungshaften Kommunikation der Teile. Das Prinzip formaler Kreisschlüsse und der Einheit zweier Glieder, explizit sichtbar im Bild „Drehung/ Janus“ (2022), erinnert an den Uruboros, ein seit dem Neolithikum bekanntes Bild des ewigen Kreislaufes des Lebens und der Materie, oft versinnbildlicht in dem Motiv der Schlange, die ihren eigenen Schwanz verschlingt. Der Uroboros steht für die Vorstellung, dass Gut und Böse, Negativ und Positiv Triebkräfte derselben Dynamik sind.
Absolut ungewöhnlich ist die Entstehung der Diptychen aus zwei Schichten eines Malprozesses. Noch im Finale bleibt die für alle Arbeiten von Boriana Pertchinska charakteristische Polarität erhalten: zum einen die Malerei auf Leinen in Gestalt einer im altmeisterlichen Stil formulierten Zentralfigur, zum anderen deren Konterfei als Zeichnung auf Papier. Jede Arbeit beginnt mit der aufwändigen Aufbereitung eines Kreidegrundes auf rauem Leinen als Basis für das Gemälde. Was später als Papier zum zweiten Flügel des Werkes wird, fungiert in dieser Phase noch als Unterlage, wie eine tiefere Hautschicht gewissermaßen, die das durchsickernde Malmittel aufnimmt. Einem Palimpsest gleich, dessen Botschaft ausgewischt wird.
Die Künstlerin, die 1999 ihren Master of Arts in Wandmalerei an der National Academy of Fine Arts Sofia absolvierte, beweist ihr meisterlich-realistisches Können bei der Formulierung von Menschen, Tieren und floralen Elementen in klassischen Maltechniken mit Pigment und Eitempera. In der Tradition der Fresken- und Tafelmalerei des 14. bis 17. Jahrhunderts zeigen die Gemälde farbliche Brillanz, Tiefe und eine symbolische Patina. Die technische Komplexität der Arbeiten ist Ausdruck der Vielschichtigkeit der behandelten Themen. Im Zentrum steht der Blick auf den Menschen als ein Wesen, das sich in stetiger Wandlung befindet und zwischen körperlichen und psychischen Bedürfnissen, zwischen Ratio und Gefühl, sozialen Normen, gesellschaftlichen Regeln und individuellen Wünschen eine Balance halten muss. Vor diesem Hintergrund scheint es folgerichtig, dass die Künstlerin das Feuer als Material für sich entdeckt hat. Mit der Kerzenflamme wird das Leinen eingebrannt, die Spur einer möglichen Vernichtung hinterlassend.
Boriana Pertchinska verbindet in allen Arbeiten zeitgenössische mit zeitlosen Inhalten, traditionelle mit zeitgenössischen Techniken. Auf diesem Wege versucht sie, den Inhalten dieser Zeit Tiefe und Dauer zu verleihen. Dieser kreativ-eklektizistische Ansatz weist sie als Zeitgenossin einer multiplen, patchworkartigen Welt aus, die bewusst mit der Polyphonie des globalen Schatzes an Wissen und Tradition spielt.
Trotz der realistischen, auf Modellen basierenden Ausführung versteht Boriana Pertchinska ihre Personendarstellungen nicht als Portraits. Im Prozess vom Vorbild zum fertigen Ergebnis wächst jede Persönlichkeit über sich hinaus und gewinnt mit dem ikonenhaften Antlitz eine überindividuelle Geltung. Während die Gesichter der Menschen passiv und introvertiert erscheinen, brodeln ihre animalischen Farbe sprühenden Begleiter von explosiver Kraft. In ihnen scheint sich etwas Aufgestautes Sichtbarkeit und Platz verschaffen zu wollen. Es scheint, als vermöchten nur die Tierwesen die Seelen der Menschen zu artikulieren und dem Ausdruck zu verleihen, was hier gehört werden will. — Interessanterweise ist nur die Begleiterin des kleinen Mädchens in „Karussel“(2022) keine Bestie sondern ein Schaukelpferdchen. Das Kind bedarf einer Bestie noch nicht.
Über die Künstlerin
Boriana Pertchinska wurde 1974 in Sofia geboren. Von 1988 bis 1993 studierte sie in Sofia an der National School of Fine Arts “Ilia Petrov” und von 1993 bis 1999 an der National Academy of Fine Arts, wo sie 1999 mit dem Master of Arts in Wandmalerei abschloss.
Die Liste ihrer Auszeichnungen und Stipendien umfasst u.a. Finalist ModPortrait 2025, org.v. Galerie ArteLibre und Königlicher Künstlerkreis Barcelona, 2024 International Prize in der Kategorie „Malerei“ TIZIAN INTERNATIONAL PORTRAIT COMPETITION, org.v. Tizian-Stiftung und Sheng Xin Yu Art, Forte di Monte Ricco, Pieve di Cadore (Geburtsort von Tizian), 2009 Spezialpreis bei der 5. Internationale d'Art Miniature Biennale-IAM, Centre d'exposition Louise-Carrier Quebec, 2002 Wettbewerbssieg bei der internationalen Ausstellung „100 Faces“ der UNESCO/IAA Heidelberg, 2000 Auszeichnung „Junge Bulgarische Künstler“ des Verbandes Bulgarischer Bildender Künstler sowie 1996, 1997 und 1998 National-Stipendium „Open Society Foundation“. Seit 1997 verzeichnet Boriana Pertchinska zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Spanien, Malta, Kanada, Italien, Kroatien und Taiwan, darunter: Königlicher Künstlerkreis Barcelona | Tizian International Portrait Competition-Preisträgerin, Forte di Monte Ricco | 73. und 74. BAYREUTHER KUNSTAUSSTELLUNG, Neues Schloss der Eremitage Bayreuth | PSYCHE, Amedeo Modigliani Foundation Rom I NordArt 2022 | Nationalgalerie Sofia I Bulgarisches Kulturinstitut Berlin, Budapest, Rom I Stiftung Starke Berlin I National Exhibition Center „Shipka 6“ Sofia I Galerie feinart berlin I Kultur Modell Passau I "Internationale d'Art Miniature" Biennale Quebec I Saal Raiko Aleksiev Sofia I Galerie Arossita Sofia I "Sredez"- Galerie des Bulgarischen Kulturministerium I K-Salon Berlin
09.08.-06.09.2025
Günter Schöllkopf
Exzentrischer Exeget der Weltliteratur & Meister der Radierung
11.09.-04.10..2025
Samira Freitag
ÉCORCHÈ
Vernissage
Donnerstag 11. September 18:00-21:00 | 19:00 Laudatio von Dr. Stefan Winter, Professor für Theorie und Praxis der Ästhetik, künstlerische Forschung und Wissenschaftsgeschichte