12.09.-24.10.2024
S A T U R N A L I A
Conor Walton
Die Ausstellung wurde gefördert von ZEITGEIST IRLAND 24, einer Initiative von Culture Ireland und der Botschaft von Irland in Deutschland.
Die Saturnalien, das laut Überlieferung populärste Fest im antiken Rom, stehen bis heute für Ausgelassenheit, Überfluss, die ausgeübte Lust am ganzen Reich des Sinnlichen und das Aussetzen von Standesgrenzen (die Sklaven wurden als Ebenbürtige behandelt). Benannt nach dem Austragungsort, dem Tempel des Gottes Saturn, waren sie zugleich ein Ritual zu Ehren dieses Gottes der Saat und Ernte und dem Vater des mythischen Goldenen Zeitalters. Drei Gründe führen von hier zu dem Titel „SATURNALIA“ für eine Ausstellung mit Gemälden von Conor Walton, einem der führenden zeitgenössischen Maler Irlands von internationalem Renommee: die allegorische Phantasie, der Realismus der Sinnlichkeit, die Provokation des Absurden.
Allegorische Phantasie. Conor Walton studierte neben der Bildenden Kunst Kunstgeschichte mit einem Master-Abschluss an der University of Essex und verfügt über ein immenses Wissen der Motiv- und Ideengeschichte. Folgt man den Figuren und Szenen seiner oft großformatigen allegorischen Ölgemälde wie im Titelbild der Ausstellung „Allegory of Wisdom“ (2023) und ihren Bezügen zu mythologischen weit in die Geschichte der Kunst hineinreichenden Ideen, eröffnet jedes von ihnen eine Welt reich an Phantasie und Wissen.
Realismus der Sinnlichkeit. Die „Bread & Butter Paintings“ von Walton zeigen einzelne Lebensmittel wie Butterstücke, Weintrauben, Kürbisse, Brotlaiber und Schokoladentafeln. Die meisterlich realistische Darstellung dieser Stillleben erzählt von einer Liebe zu diesen vermeintlich unbedeutenden Gegenständen, ihren Farben und sinnlichen Formen. Jedoch: eine Romantisierung der Dinge gewährt der Maler nicht, denn er setzt immer wieder auch die Alufolien und Plastiktüten ästhetisch in Szene, die diese Dinge im Zeitalter von Konservierung und Kunststoffen bekleiden.
Provokation des Absurden. Seit er Kinder hat, integriert Walton Spielzeuge in seine Bilder: Batman, Superman, T-Rex, mittelalterliche Ritter, Zoos von Tieren aus unterschiedlichsten Regionen, Damen im höfischen Gewand und viele andere mehr. Wo sie auftauchen, scheint eine fremde Spezies mit uns vertrauten Bildern ihr Spiel zu treiben und damit die Welt zu ironisieren, die wir Realität nennen. Wenn Walton in „Keeping Things in Perspective“ (2015) neben eine altmeisterliche Komposition aus Birne und Weintraube einen Spielzeug-Dinosaurier und einen Spielzeug-Astronauten stellt, dann lässt er die Geschichte unseres Planeten auf einer Tischplatte zusammentreffen.
„Ich bin ein figurativer Maler in der europäischen Tradition und versuche, mein Handwerk auf höchstem Niveau zu halten, indem ich die Farbe benutze, um Fragen nach Wahrheit, Bedeutung und Wert zu erforschen. Alle meine Bilder sind der Versuch einer Antwort auf die drei Fragen im Titel von Gauguins berühmtem Gemälde: Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?“ (Conor Walton)
Über den Künstler
1970 in Irland geboren erhielt Conor Walton seine Ausbildung am National College of Art and Design in Dublin und bei Charles Cecil in Florenz, Italien. Er hat einen Master-Abschluss in Kunstgeschichte und -theorie (mit Auszeichnung) an der University of Essex. Als Dozent unterrichtete er an der National Gallery of Ireland, dem University College Dublin, der Royal Hibernian Academy, dem Laguna College of Art and Design und dem New Museum, Los Gatos und war Residenz Artist an der California Lutheran University. Er hat an der TRAC (The Representational Art Conference) sowohl als aktiver Künstler wie auch als Gastredner teilgenommen. Zu den Einzelausstellungen von Walton gehören Museumsausstellungen wie zum Beispiel in der National Portrait Gallery (London), im MEAM (Barcelona), in der National Gallery of Ireland, in der Scottish National Portrait Gallery, im American University Museum (Washington DC) und im WMOCA (Wisconsin). Der Maler hat zahlreiche Auszeichnungen für sein Werk erhalten, darunter den Gino De Agrò International Award (2022), den Ismail Lulani International Award (2019), ModPortrait 2017, Arc Salon 2014/15 (Stillleben), Portrait Ireland 2005 und den „Lorenzo il Magnifico“ International Award (1999).
Conor Walton lebt und arbeitet in Wicklow, Irland.
03.08.-04.09.2024
Shadow Flowers
Letizia Werth
Letizia Werth interessiert sich für die Zeichnung und ihre Materialität sowie für das Verhältnis der Zeichnung zu anderen Medien wie Photographie und Video. Unter dem Titel „Shadow Flowers“ fasst sie einen Zyklus monochromer Arbeiten zusammen, in denen sie Bilder von aufgefundenen anonymen — „verlorenen“ — Photographien aus privaten Wohnräumen in Graphit und Tusche auf die Leinwand transformiert. Auf dem Wege der Loslösung von der photographischen Vorlage treten Kategorien wie Raum, Zeit, Fiktion und Realität in ihrer Fragilität hervor.
„Das Zeichnen ist ein unmittelbarer Prozess des Einverleibens und Verdauens […]. Er ist vergleichbar mit dem Fluss der Atemluft beim Ein- und Ausatmen, dem Innehalten sowie Loslassen und genau so halte ich die Zeit für ein paar Momente inne und bewege mich in neue Bildwelten hinein.“ Letizia Werth hat sich von Photographie, Video über das Röntgenbild bis hin zur Séance eingehend mit dem Einfluss verschiedener Medien auf die Wahrnehmung beschäftigt. In den Shadow Flowers verwischen die Grenzen von Geistigem und Körperlichem, Realität und Imagination. Einerseits wissen wir: es existieren reale Urheber, Zeiten, Entstehungsorte, doch sind diese für immer unbekannt, in Vergessenheit geraten, ausgelöscht. Zugleich tritt in den Vordergrund, was bleibt: eine schon damals eindringliche Stimmung oder eine geheimnisvolle Impression von Licht und Schatten, die uns vielleicht gerade deshalb so berührt, weil sie sich in der Welt des Alltäglichen ereignete — in einem stillen Wohnzimmer, beim Blick auf ein im Gegenlicht blendendes Fenster oder auf Topfpflanzen eines Balkons — irgendwo — irgendwann. Wo die Szenen ins Negativ gekehrt sind und sich Graphit und Tusche staubhaft auf der Bildoberfläche verdichten, entsteht ein Anklang an Unheimliches, Geheimnishaftes. Wer diese Photos schoss, muss von etwas berührt gewesen sein, das es wert war, festgehalten zu werden.
Beim Innehalten zwischen Schwinden und Auftauchen, Erinnern und Vergessen, beweisen uns diese Arbeiten die Sensibilität der Künstlerin für die Poesie von Zeitlichkeit und die Intensität des einmaligen, doch vergänglichen Moments.
Letizia Werth lebt und arbeitet in Wien und hat ein Diplom der Akademie der bildenden Künste Wien. Ihre Arbeit wurde durch zahlreiche Stipendien und Preise ausgezeichnet, zuletzt den Martin-Rainer-Preis 2024 und die Residenz Lademoen Kunstnerverksteder 2024 in Trondheim, Norwegen. Zu den jüngsten Ausstellungen gehören Bildraum 07 Wien (Solo), C.A.Contemporary Wien (Solo), Drawing now fair Paris (Solo), Kunsthalle West Lana Italien, Museion Bolzano Italien, Kunstforum Montafon Österreich, MIET Thessalonik Griechenland, Kunstforum Unterland Neumarkt Italien (Solo), 21er Haus, Wien. Ihre Werke sind u.a. in den Sammlungen des Landes Österreich (Artothek des Bundes), der Stadt Wien (Sammlung Wien Museum), der ÖBV Wien, der Stadt Attnang-Puchheim, des Parkhotels Laurin und der Raiffeisen Landesbank Südtirol vertreten.
Als erste Station einer annual geplanten Ausstellungsreihe zum Thema Collage werden Arbeiten von Maud Tutsche, Jürgen Tenz († 2021) und ARATORA präsentiert. Die Ausstellung möchte auf das Collagieren in einem weiteren Wortsinne neugierig machen und damit für die Bedeutung des Suchens, Sammelns und Reorganisierens von Dingen für den künstlerischen Prozess sensibilisieren. Das Alltägliche, Beschädigte, Weggeworfene erfährt in der spielerischen künstlerischen Arbeit eine Verwandlung und Umdeutung. Neben klassischen Collagen zeigen die drei Akteure der Ausstellung Schrift-Bilder, Digitalcollagen, Assemblagen, Montagen und Objekte.
Maud Tutsche (Collage, collagierter Bucheinband)
„In meinen Collagen verbinde ich zwei Aspekte, die mir wichtig sind: einerseits die kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen, andererseits Schönheit und Ästhetik. Beides bedingt sich und gehört für mich untrennbar zusammen.
Meine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konflikten, Disharmonien und Zerstörungen führt zur Suche nach Harmonie und Schönheit, die ich in jeder Arbeit verwirklichen will und die Collage bietet mir Raum für Experimente.
Mich interessiert besonders die Haptik der unterschiedlichen Materialien. Ich arbeite mit Verpackungen, Folien, eigenen Drucken, Kinoplakaten, Büchern, Stempeln, Zeichnungen, Japanpapieren, Letrasets (Buchstaben), Materialien von Reisen und bündele all diese Techniken. Der Reichtum an Materialien macht meine Collagen anspruchsvoll und einzigartig. Thematisch beschäftigen mich Verbindungen in Licht, Form, Farbe — dem scheinbar Unvereinbaren. Auf allen Ebenen geht es um Dialog.“ © Maud Tutsche
ARATORA (Collage mit digitalisierten Holz- und Zusatzmodulen, Assemblage)
"Meine grafischen und malerischen Arbeiten sind nicht traditionsgebunden, sie sind ein konkreter, freier Weg durch mein individuelles und komplexes Universum. Alles Abgebildete ist als Einheit zu betrachten, deren bildlicher Inhalt sowohl im Macro- als auch im Microbereich angesiedelt ist. Die Formmaßstäbe und die innere Spannung einer Fläche oder Figur sind die bedeutungsvollsten Elemente. Die Farbe steht nur bedingt in einem Bezug zur Form, die Farbe ist dem kompositorischen Gesamterlebnis dienlich. In der grafischen Reduktion auf Grundelemente entwickle ich eine konsequente Antwort auf die Reizüberflutung unserer gegenwärtigen Informations- und Medienwelt. Ohne dabei auf die modernen Technologien und Möglichkeiten der Digitalisierung in der künstlerischen Arbeit zu verzichten.
Mein Fünffarb-Laserdruckverfahren mit digitalisierten Holz- und Zusatzmodulen ist eine logische Weiterentwicklung aller künstlerischen Hilfsmittel wie Pinsel, Stift, Radiernadel, Farbwalze, Druckpresse usw. mit dem technischen Wissensstand des 21. Jahrhunderts.“ © ARATORA alias Frank W. Weber
Jürgen Tenz (Relief-Collage, Objekt)
„Neben Graphik und Malerei war Jürgen Tenz (1942-2021) am Spiel mit anderen Werkstoffen interessiert. Auf Radtouren durch Berlin sammelte er auf Schrottplätzen Materialien, im Atelier Dosenweißblech, Batterieteile, Leinwand, Wellpappe, von Hochdruckarbeiten abgelegte Druckstöcke. Aus all diesen Fundstücken, verbunden mit Dispersionsfarbe und Kleber, entstanden 1997 bis 2002 plastische Figurationen mit dreidimensionaler Wirkung. Die Themen bezog er oft aus Serien der Malerei und Graphik und verwandelte sie in Relief-Collagen zu eigenen farbigen Impressionen. Seine Collagen leben von der jahrelangen Beschäftigung mit Musik, Bewegung, Tanz und Rhythmus, nicht ohne den ihm eigenen Witz, aber auch mit leichten Anklängen der Melancholie.
In demselben Zeitraum entstanden Jürgen Tenz‘ skulpturale Objekte: dreidimensionale abstrakte Formen aus Fundstücken wie Weißblech, Holz, Leinwand, Karton und Farben.“ © Gisela Tenz
25.04.-01.06.2024
Pandora lacht
Danielle de Picciotto
Geboren in den USA, zog Danielle de Picciotto 1987 nach Kreuzberg und entdeckte im prä-Mauerfall West-Berlin ihre Sympathie zu dessen pulsierender Clubszene und der kreativen Welt zwischen Nachtleben, besetzten Häusern und subversiver Kunst. Durch Aktionen wie 1989 die Initiierung der ersten Berliner Love Parade zusammen mit Dr. Motte und 1996 die Gründung des Ocean Club mit Gudrun Gut gehört sie zu den prägenden Figuren der Berliner Club- und Musikszene nach dem Boom der Neuen Deutschen Welle.
Die Werkschau „Pandora lacht“ ist Danielle de Picciotto als Malerin und Zeichnerin gewidmet. Die Bildende Kunst ist ein eigenständiges Medium im interdisziplinären Werk der international erfolgreichen Musikerin, Performancekünstlerin, Filmemacherin und Texterin, lässt sich jedoch wie die anderen Genres auch vollständig nur im Gesamtzusammenhang verstehen. Neben Zeichnungen und Gemälden aus verschiedenen Schaffensphasen sind deshalb der Stummfilm „Crossroads“ (2017) sowie Originalblätter eines ihrer Graphic Novels, „We are Gypsies Now“ (2013), Teil der Ausstellung. Beide geben Einblicke in ihr Leben als Nomadin seit 2010 bis Beginn der Corona-Pandemie.
Besonders die Arbeit aus dem Prozess heraus, das Experiment mit Überlagerungen von Material und Ebenen wie auch die Liebe zum Erzählen sind charakteristisch für das künstlerische Werk von Danielle de Picciotto. Eine leitende Inspirationsquelle ist ihre Neugier für die Regionen zwischen den inneren und äußeren Rändern der kollektiven Psyche. Wer ist das Individuum „Ich“ und wer macht es zu dem, was es ist, was ICH bin: familiäre Erwartungen, kulturelle Regeln, gesellschaftliche und moralische Tabus? Und: Gewinnt diese Frage an Brisanz, wenn sie aus dem Mund einer Frau gesprochen wird?
Seit den 2000er Jahren verbindet de Picciotto ihre detailreichen Tintenzeichnungen in Schwarz-Weiß vermehrt mit farbenprächtiger surrealistischer Malerei. Schichten werden Geschichten und Zwischenwelten. Die Ergebnisse erinnern auf der einen Seite an die u.a. von psychedelischer Musik, Comic und Anime inspirierte und jenseits der etablierten Galerien- und Museumsszene entstandene Bildkultur des Pop Surrealismus. Auf der anderen Seite zeigen sie in ihrem unterschwelligen Humor, dem Spiel mit magischen Vorstellungen, Mischwesen und Tieren Verwandtschaften zu Werken von Surrealistinnen wie Leonora Carrington.
De Picciottos Referenzen zu weiblichen Figuren aus Märchen und Mythen sowie Zitate symbolisch erotisch aufgeladener Dinge wie Kronen, Schleier, Dolche, Blumen, Vögel und Käfige stellen ihre Werke in den Kontext von Debatten über weibliche Identität und die Gewalt von Rollenbildern, behalten jedoch durch den Fokus auf individuelle Themen wie Sehnsüchte, Zweifel und Fantasien ihre Eigenständigkeit. — Pandora lacht und ihr Lachen ist Rebellion.
Über die Künstlerin
Die Werke von Danielle de Picciotto werden international ausgestellt, darunter die Staatsgalerie Stuttgart, IMOCA Indianapolis Museum of Modern Art, London Museum of Art, ACMI Museum, Melbourne, Film Museum Frankfurt a.M., Institut de Cultura, Barcelona und Centre Pompidou, Malaga. Für das Deutsche Auswärtige Amt produzierte sie mit ihren animierten Zeichnungen mehrere Filme. 2023 wurde sie mit dem Poetic Lens Award für ihr poetisches Video „Awake“ in Eugene, Oregon, USA ausgezeichnet. 2019 tourte sie als Spoken Word Solo Künstlerin, vertreten durch das Goethe Institut, durch Nord Amerika. Sie hat drei Filmdokumentationen produziert: „neubauten.org, Die Tour 2004“, „How Long is Now“ und „The Art of Lary 7“ sowie den Stummfilm „Crossroads“. Im Rahmen von Musikproduktionen und Bühnenshows arbeitet Danielle de Picciotto seit 2001 mit Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten) zusammen. Sie sind seitdem weltweit mit ihrer Band hackedepicciotto unterwegs und seit 2006 verheiratet. Seit 1990 hat die Künstlerin insgesamt 16 Alben aufgenommen u.a. mit Mick Harvey (Nick Cave & The Bad Seeds), Monika Werkstatt, Gudrun Gut und Crime & The City Solution.
15.03.-18.04.2024
Wanderjahre
Louis G.N. Busman
Finissage
Donnerstag, 18.04. 18:00-21:00
Vor 80 Jahren wurde Louis George Nicolas Busman in Maarssen, Niederlande geboren. „Man will immer weg, um wieder nach Hause zu kommen“, so zitiert ihn 1991 der Kunstwissenschaftler, Schriftsteller und Kritiker Dr. Olav Münzberg im Vorwort eines Katalogs mit dem Titel „Ausflüge“. Ein bescheidener Titel, denn es hat vielleicht nichts mehr Louis G.N. Busmans Leben geprägt wie das Reisen: Europa von Italien bis Norwegen, von England bis Ungarn; Argentinien, Chile und Peru, Panama, Guatemala, Mexico, USA, Kanada, Japan, Hong-Kong, Thailand, Libanon, Namibia, Marokko.
Im Jahr seines zehnten Todestages ist die Ausstellung „Wanderjahre“ den Landschaften dieses Malers aus Passion gewidmet. Die verschiedenen Gesichter seiner Landschaftsgemälde stehen für eine Sehnsucht nach Ferne, Abenteuer und Freiheit, zugleich aber für etwas zutiefst Innerliches, Ruhendes. Wie das Auge in eine Landschaft hinein wandere, so kehre es wieder zurück — „ein Kreislauf“, schreibt Louis G.N. Busman. Was bedeutet für ihn Landschaft? „Tief einatmen können.“ In jeder Landschaft ruhe ein Staunen über das Dasein und auf der anderen Seite die Introspektion: „Ichpunkt. Ruhepunkt. Beobachtungspunkt. Existenzpunkt.“ Der Maler ist in seiner Arbeit fühlend, denkend einbegriffen.(1)
Was zeigt sich dem Betrachter in einem mit Wasser aufgesogenen Sumpfland voll satter Grasbüschel aus trunkenem Grün (Esteros del Iberá, 2011), was hören wir in der Gischt spuckenden Brandung, die aufschäumt vor blanken Kieselsteinen (West of British Columbia, 1997), wie riecht die ausgehöhlte, brache Erde im Tagebau Lausitz (Das Loch, 1991)? Die Gemälde von Louis G.N. Busman spüren den sinnlichen Eigenschaften der natürlichen Umgebung nach, versuchen, mit Farbe und Duktus zu greifen, was so elementar ist wie ganz persönlich: Licht, Frische, Trockenheit, Kühle, der Sturm im Gesicht, Hitze, Durst, Einsamkeit, Stille und Rauschen. Und immer ist es der Blick des Betrachters, der hinein fließt in den Körper einer Landschaft.
„In die Welt zieht es ihn, um in der fernen Stille oder in lautloser Nähe das zu finden, was als Urlandschaft sein individuelles Dasein berührt. Es ist die elementare Kraft der Natur, die er spüren, atmen, hören und sehen will. Er will das Geheimnis ihres Inneren entdecken. Das nicht von Menschenhand Geschaffene, das sie verborgen hält.“(2)
Louis G.N. Busman, geboren 1944 in Maarssen, Niederlande, studierte von 1960 bis 1965 an der Pädagogischen Akademie Alkmaar und nach kurzer Lehrtätigkeit ab 1967 an der Gerrit-Rietveld Akademie in Amsterdam. 1971 siedelte er nach Berlin über. Seit 1979 ist er Mitglied im Verein Berliner Künstler, seit 1986 Initiator der Gruppe „Maler vor Ort“ und Mitglied im Deutschen Werkbund und Künstlersonderbund. 2000 wurde er mit dem ARAG-Kunstpreis ausgezeichnet. Seine Werke sind in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten, darunter in der Kunstsammlung von Königin Beatrix der Niederlande. Louis G.N. Busman verstarb 2014 in Berlin.
___________________
1 Alle Zitate im Text aus: Olav Münzberg. Rekonstruktionen eines Gefühls - Es gibt sowieso kein Jetzt - Bilder von Louis, in: Louis. Ausflüge, Berlin 1991, S. 5f.
2 Dr. Petra Lange über Louis G.N. Busman, in: Katalog ARAG-Kunstpreis 2000, S.2.
07.12. - 22.12.2023
Puppet Garden
Maria Wirth
"Geblümte Nacht, buntgesticktes Dunkel,
gedeihend' Garten mit Phantasiefrüchten.
Nackt baden am ersten Tag
und beten am letzten.
Gehen, wenn das Glas voll ist,
dorthin, wo sich nur aus Quellen trinken lässt.
Puppenträume und Abendgrauen
Lippen wie einen Schmetterling küssen.
An jedem Morgen neu geboren werden."
MW, April 2023
07.09. - 28.10.2023
Zuflucht Sehnsucht
Michael Jastram
Die Bronzeskulpturen von Michael Jastram, geboren 1953 in Berlin, zeigen archaisch anmutende Gefährte, Reiterinnen, Krieger, Göttinnen, einsame Treibende. Sie erzählen vom Menschen als ewig Reisendem aber auch von seiner Ratio und schöpferischen Fähigkeit. Technische Erfindungen lassen uns unsere physischen Grenzen überwinden und von Dingen träumen, die noch außer Sicht liegen: Leitern, Treppen, Brücken, ein Boot, ein Radwagen. Diese Ideen sind so uralt wie sie in jedem Menschenleben immer wieder neu entdeckt werden wollen. In diesem Bild liegt auch etwas Schicksalshaftes: der Mensch als Getriebener und Vertriebener.
„Für das Reisen gibt es keinen Ersatz. Zu Hause sind andere die Fremden, unterwegs sind wir es selbst. Zu reisen verlangt, sich einem Risiko auszusetzen, und wir tun es, weil Fremdheit zwar bedrohlich, aber gleichzeitig verlockend ist.“ (Christoph Tannert 2018)
Der künstlerische Kommentar von Michael Jastram zu Gesellschaft und Politik ist nicht provokativ, nicht reißerisch aber deshalb keinesfalls weniger wirksam. Im Gegenteil, die politische Dimension in Michael Jastrams Arbeiten drückt sich in leisen Tönen aus: weder mahnend noch anklagend und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb aus einer geschichtsbewussten Perspektive mit einem geweiteten Horizont in Zukunft und Vergangenheit.
Die Bildwelt von Jastram wird von Wesen und Dingen bewohnt, die aus einer fernen Zeit zu stammen scheinen. Neben den genannten Fahrobjekten finden wir Hütten auf Radgestellen, Stelzenhäuser und Türme, dann Pferde, Stiere und heute Boote. Vor allem Pferde befinden sich oft in Gemeinschaft von Frauen — stolze Reiterinnen. Eine Neuformulierung von Mythen. Die reichhaltige Welt mythologischer und archetypischer Bilder nährt unsere Phantasie, es geht um das Innehalten, Betrachten und Imaginieren. Wie im Altertum Mythen erzählt wurden, so laden uns Jastrams Skulpturen dazu ein, nach dem Grund des Geheimnisses zu forschen, das ihre Herkunft umhüllt. So wird das ungezäumte Ross mit seiner Reiterin vielleicht zum Spiegel ursprünglicher Sehnsüchte, zum Sinnbild von Werten wie Stolz, Anmut, Freiheit oder erinnert uns an Momente der Einsamkeit und Selbstbetrachtung.
27.07. - 31.08.2023
Die Malerin Lore Kegel
Bilder einer Kosmopolitin und Grande Dame der Hamburger Kunstszene (1901-1980)
Lore Kegel studierte von 1919 bis 1922 als eine der ersten Frauen an der Düsseldorfer Kunstakademie. Ab Mitte der 1920er in Hamburg lebend, macht sich die emanzipierte, abenteuerlustige Frau einen bleibenden Namen vor allem als Kunsthändlerin und Sammlerin außereuropäischer, insbesondere afrikanischer Kunst — eine Leidenschaft, die auch ihr Wirken als Malerin und Dichterin tief inspiriert hat.
Das Leben von Lore Kegel ist geprägt von einer unerschöpflichen Neugier für Reisen in fremde Kulturen, für deren Natur, Menschen und Handwerkskünste. Bereits in den frühen 1930er Jahren bereist sie Indien, Tibet und Lappland, nach 1945 dann Zentralafrika, Südamerika, Südostasien und Ägypten. Unter der Regierung der Nationalsozialisten wegen ihrer jüdischen Vorfahren aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen, veranstaltet sie während des Krieges in ihrem Haus an der Eilenau bis zu dessen Zerbombung im Jahr 1943 sogenannte „Kegel-Abende“, an denen regelmäßig Künstler*innen, Literat*innen und Geisteswissenschaftler*innen zusammenkommen. In ihrem Umkreis versammeln sich wichtige Namen der Kunstszene, insbesondere aus der Hamburger Sezession und mit Verbindungen zur Berliner Brücke, darunter Friedrich Wield, Rolf Nesch, Emil Maetzel und Richard Haizmann.
Die Ausstellung ist Lore Kegel als Malerin und Zeichnerin gewidmet. Die gezeigten Lithographien, Pastell- und Kohlezeichnungen stammen aus den Jahren 1962-72, einer künstlerisch produktiven Zeit, in der Kegel sich neben Zentralafrika (Kongo, Gabun und Ecuador) auch mit ihren Reiseimpressionen aus Südamerika (Machu Picchu, Anden, Bogota), Sri Lanka, Indien und Ägypten (Abu Simbel) beschäftigt. Der expressionistische, manchmal kubistische oder gar futuristische Gestus ihrer Bilder steht im Geiste der vielfältigen Ansätze zur Erneuerung von Kunst und Gesellschaft, wie sie Anfang des 20. Jahrhunderts um sich greifen. Die Entgrenzung der Tradition, das Versprechen von Ursprünglichkeit und Natürlichkeit suchen zu dieser Zeit viele Kulturschaffende im Exotischen. Auch Lore Kegel gewinnt aus ihren Begegnungen mit außereuropäischen Welten einen verblüffenden Reichtum an Themen, festgehalten in vitalen Farben und mit einer geübten, dynamischen Hand. Besonders aus der abstrahierenden Verdichtung von Natur- und Architekturmotiven, aber auch aus der Darstellung von Masken indigener Völker spricht ihr Gespür für die Kräfte des Irrationalen, Magischen und der Phantasie, die in der Begegnung mit dem Fremden lebendig werden.
Das Konvolut von Zeichnungen und Lithographien von Lore Kegel vertritt die Galerie in Kooperation mit dem Hamburger Sammlerehepaar Silke und Tim Tobeler, welche den Nachlass verwalten.
10.06. - 20.07.2023
Michael Dressel
9 HOURS APART. Photographie aus Berlin und Los Angeles
Das Leben von Michael Dressel erzählt eine außergewöhnliche deutsch-amerikanische Künstlerbiographie. 1958 in Ost-Berlin geboren, nach einem gescheiterten Fluchtversuch und zwei Jahren im DDR Zuchthaus erlebt er ein paar kurze aber intensive Jahre im wilden Prä-Mauerfall West-Berlin. Bereits vor dem Fall der Mauer findet er sich an der Westküste der USA wieder und macht Los Angeles zu seinem neuen zu Hause. Dort arbeitet er über Jahre als Sound Editor für zahlreiche, zum Teil mit Oscars und Golden Reels für Sound prämierte Hollywood Filme, darunter die letzten sechzehn Clint Eastwood-Filme, woraus seine Berufung in die Oscar Academy hervorgeht. Während dieser gesamten Zeit pendelt er regelmäßig zwischen beiden Metropolen — in beiden Städten zu Hause und gleichermaßen vertraut wie fremd.
Die Reflektion auf die tägliche Erfahrung in der Welt der Stars und Hollywoodstudios und das Bewusstsein von deren letztendlicher Unzulänglichkeit spielten von Anfang für seine photographische Arbeit eine besondere Rolle. Wie viele Menschen gibt es, die voller Träume und Hoffnungen nach Hollywood kamen und die nun im Schatten der „Traumfabriken" ihr Dasein fristen? „Auf dem Hollywood Boulevard, dem sogenannten „Walk of Fame" findet ein nie endendes Schauspiel voll tragischer, komischer, absurder und manchmal gefährlicher Situationen statt. In dieser Umgebung finde ich menschliche Szenarios, die oft zeitlos sind und über den konkreten Ort hinausweisen." (MD) Dass Michael Dressels Arbeit oft in die Rubrik der sozialen Dokumentation eingeordnet wird, trifft sein Anliegen nur unvollständig. Ohne Frage lässt sich der soziale Kommentar nicht von Photographien von Menschen trennen, von denen viele durch Armut, Krankheit, Drogen oder Schicksalsschläge an den Rand der Gesellschaft geraten sind. Für Dressel ist dies jedoch nur die oberflächliche erste Schicht seiner Bilder.
Was ein Bild zu einem guten Bild mache, sei das Sichtbarmachen einer grundsätzlicheren Ebene, die wirke und gelte ungeachtet von Ort und Zeit der Aufnahme, ungeachtet von Klasse, Rasse, Herkunft oder Alter der Portraitierten. Diesem Gedanken geht die Ausstellung nach und zeigt an der Seite der Photographien aus Hollywood und Los Angeles nun erstmals Aufnahmen aus Berlin. Die 9 Stunden Zeitunterschied zwischen den beiden Städten repräsentieren mehr als nur verschiedene Zeitzonen: „Wenn ich nach Deutschland komme, fühle ich mich oft, als würde ich aus einer gesellschaftlichen Zukunft kommen..."
27.04. - 06.06.2023
S O I L
Christine Jackob-Marks
Über die Ausstellung
Das englische Wort soil fasst Themen zusammen, die den gesamten Schaffensweg von Christine Jackob-Marks prägen: der Boden, die Erde (Welt, Planet), der Grund (Ursache); to soil: verschmutzen, verunreinigen, besudeln. Im Zentrum der Ausstellung steht eines der Leitgenres der Malerin, die Landschaft im Wandel von den 1980ern bis hin zu den aktuellen Werkserien. Insbesondere die angegriffene, bedrohte Landschaft, in der etwas auf dem Spiel steht, ist repräsentativ für ihre Auseinandersetzung mit der Gefährdung der natürlichen Welt, die unsere Heimat und Lebensbedingung ist. Dabei beweist die Künstlerin Sensibilität für eine besondere, widersprüchliche Schönheit der Natur, die nicht trotz sondern gerade in Prozessen des Verwelkens, Ausdörrens und Verwesens unvergleichlich faszinierende, bizarre und phantasievolle Farbspiele entfaltet. Liegt schließlich nicht im Abgründigen und Hässlichen die eigentliche Zündkraft für Wandel und Neuerung, während pure Schönheit nur Selbstgefälligkeit kennt?
Vergleicht man Christine Jackob-Marks’ Werke der letzten Jahre mit früheren Arbeiten zu Akt, Landschaft, Stillleben und Tierportrait, lässt sich eine Abwendung von der gegenständlichen Darstellung beschreiben. Bezeichnenderweise versteht die Malerin dies keinesfalls als eine Hinwendung zur Abstraktion. Ganz im Gegenteil: Wer ihrer künstlerischen Entwicklung folgt, wird insbesondere in den landschaftsbezogenen Bildern eine fortschreitende Verschärfung wesentlicher Gedanken finden, die das gesamte Oeuvre begleiten. Die treibenden Fragen wie „wo komme ich her?“, „wieso bin ich in der Welt?“, „was ist die Einheit des Kosmos?“ zeugen von einer unaufhörlichen Suche nach dem Wesen des Seins und verweigern jede einfache Lösung. Sah Dr. Peter Raue in Jackob-Marks’ Bildern den „Verlust der Unschuld der Landschaft“ aufgezeigt, so scheinen in ihnen heute die Schuld und Unschuld von Farbe, Form und Duktus sowie des Malprozesses selbst zur Verhandlung gestellt zu werden. Dies wäre die konsequente Zuspitzung des von der Künstlerin beschriebenen Credos: „das Gesehene zerstören, weil es nicht wirklich das Gesehene ist; es steckt eine andere Realität dahinter“.
Ein Blick auf Jackob-Marks’ Weg seit ihrem Ausstellungsdebüt 1984 in Berlin macht bewusst, dass ihr künstlerischer „Grundton“ durch alle Variationen von Motiven und äußerer Form hindurch immer derselbe geblieben ist. Wie bei Faust die Suche nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält, mit der Verführung durch das Böse untrennbar verbunden scheint, so reicht sie immer wieder dem Zweifel und dem Unvertrau(t)en die Hand, um ihre künstlerische Arbeit voranzubringen. „Ich bin das Bild“, sagt sie, und hinterlässt die Frage, ob ihr künstlerischer Weg selbst die Antwort sei.
09.03. - 20.04.2023
Thomas Kleemann
Fortsetzung einer Wiese
Die illusionistische Kraft, die den Werken von Thomas Kleemann innewohnt, lässt vor den Augen des Betrachters Räume aus architektonischen und landschaftlichen Elementen entstehen. Polyperspektivisch und plastisch formuliert, oft mit Siliziumkarbit und pastoser Binderfarbmasse aufgebaut, scheinen sie sich beinahe begehen und anfassen zu lassen: Tunnel, Treppen, Ruinen, Mauern, dazwischen Farbschollen aus Lichtgelb, Kobaltblau oder Rot-Orange, dann ein Ufer, eine Klippe. Die Bedeutung dieser Dinge, oder: Zeugen der sichtbaren Welt bleibt rätselhaft und nährt unsere Phantasie. Dies macht Kleemanns Bildwelten autonom und unerschöpflich. Sich der Trennung von Abstraktion und Realismus widersetzend folgt der Künstler dem Ansatz, alles von der Malerei her zu denken, das heißt, Bildräume aus der Eigenlogik von Form und Farbe heraus zu entwickeln. Für den Betrachter öffnen sich so zugleich autarker Raum wie Zeit, in die er eintreten kann. — Was ist hinter der Oberfläche der Realität? Nichts vielleicht. Vielleicht alles.
Thomas Kleemann, 1954 in Geesthacht geboren, beschloss sein Studium an der Hochschule der Künste Berlin als Meisterschüler bei Johannes Geccelli. 1983 war er Stipendiat der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo, Casa Baldi, und 1986-88 der Karl-Hofer-Gesellschaft, seit 1985 ist er freischaffend als Künstler tätig und lebt und arbeitet in Berlin und Melz/ Müritz. Kleemann verzeichnet zahlreiche Ausstellungen in namhaften Kunstvereinen, Galerien und Museen u.a. in Berlin, Hamburg, Potsdam, Düsseldorf, Saarbrücken, Mannheim, Dresden, Kiel, München, bspw. Einzelausstellungen im Ostholstein-Museum Eutin, Kulturforum Villa Oppenheim Berlin oder Rosenhang Museum Weilburg. Seine Werke befinden sich in öffentlichen und privaten Sammlungen in über 20 Ländern, darunter Berlinische Galerie, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Daimler Art Collection Berlin, Kultusministerium Schleswig-Holstein, Bürgergalerie Kiel.
26.01. - 02.03.2023
GRAPHIK
Wolfgang Petrick - Ulrich Reimkasten - Mathias Roloff
„Beim Zeichnen entsteht das Reservoir eines Künstlers, es ist sein Atmen.“ (Ulrich Reimkasten) — Im Vollzug einer Linie auf weißem Papier formulieren sich Empfindungen, Figuren, Motive vergleichbar wie Gedanken beim Ringen um Worte. Immer wieder in einen Ursprung aus Nichts gestellt, ist das Zeichnen Suche und Selbstreflexion. Zugleich fordert es immer auch die Auseinandersetzung mit der Realität als „Vor-Bild“ bei der Übertragung von den Augen zur Hand des Künstlers. Diese Überlegungen zur Zeichnung inspirieren diese Ausstellung. Die Gegenüberstellung von Wolfgang Petrick, Ulrich Reimkasten und Mathias Roloff verleihen dem eine kunsthistorische Tiefe, denn es begegnen sich hier Künstlerpersönlichkeiten aus drei Generationen mit drei grundverschiedenen „deutsch-deutschen“ Biographien:
WOLFGANG PETRICK, 1939 in Berlin-Neukölln geboren, lebte im Alter von dreieinhalb bis zwölf Jahren in Ludwigsfelde und kehrte 1951 nach West-Berlin zurück. Hier machte er seinen Weg als einer der namhaften Berliner Maler und Objektkünstler sowie von 1975 bis 2007 als Professor an der Hochschule der Bildenden Künste.
ULRICH REIMKASTEN, 1953 in Lichtenstein (Sachsen) geboren und von 1995 bis 2018 Professor für Malerei und Textile Künste an der Halleschen Kunsthochschule Burg Giebichenstein, bewies sich schon als Student und wirkender Künstler in der DDR als eigensinniger Kosmopolit.
MATHIAS ROLOFF ist 1979 in Ost-Berlin geboren und dort aufgewachsen und steht für die Kunstschaffenden einer Generation, die in ihrem Jugendalter bereits in das wiedervereinigte Deutschland hineinwuchs. Ab 2000 Student der Malerei und Graphik an der Universität der Künste Berlin, absolvierte er 2006 seinen Meisterschüler bei Volker Stelzmann.
Die in der Ausstellung gezeigten Graphiken umfassen eine große Varietät an Materialien und Techniken, von klassischer Bleistiftzeichnung, Siebdruck und Radierung über Photogravure, Text-Bild-Collage und Integration digitaler Pigmentdrucke bis hin zu Fingerzeichnungen mit Lehm oder der Tinte von Pilzen.
Hintergründe zu den Künstlern und ausgestellten Werken
WOLFGANG PETRICK begann seinen künstlerischen Werdegang in den 1950er Jahren im Umfeld von Lehrern, die dem Bauhaus, abstrakten Expressionismus, Surrealismus, der gestischer Malerei und Art Brut nahestanden. Neben 15 weiteren Berliner Künstlern, darunter Karl Horst Hödicke und Markus Lüpertz, war er 1964 Gründungsmitglied der Ausstellungsgemeinschaft „Großgörschen 35“, die eine Unabhängigkeit von institutionalisierten Marktstrategien anstrebte. In Abgrenzung zu den etablierten Strömungen begründete Petrick gemeinsam mit Hans-Jürgen Diehl und Peter Sorge den „Kritischen Realismus, der es sich zum Ziel gesetzt hatte mit der Borniertheit und den Zwängen der deutschen Nachkriegsgesellschaft aufzuräumen“ (Harald Falckenberg). Obwohl er sich in den späten 1970er Jahren von diesem Projekt distanzierte, ist darin ein bleibendes Statement zur Aufgabe „realistischer“ Kunst konserviert: der Appell an die Reflektion des Künstlers auf die Verwerfungen und Krisen seiner Zeit, auf die Veränderungen und Deformationen, die den Einzelnen wie auch die Gesellschaft betreffen. Bereits als junger Künstler beschäftigte er sich intensiv mit der Sammlung Prinzhorn, einer der umfangreichsten Sammlungen der Kunst von psychisch Kranken. Der Stellenwert seiner künstlerischen Arbeit in dieser Richtung wurde 2011 mit der Beteiligung an der Ausstellung „Von Kirchner bis heute. Künstler reagieren auf die Sammlung Prinzhorn“ gewürdigt. Für Alexander Tolnay begegnen wir bei Petrick „Zuständen einer an Banalitäten und wachsender Gewalt leidenden Welt“ (ebd.) Obwohl in den intensiven, geladenen Bildern so vieles laut wird, was beunruhigt — Globalisierung, Asyl, Gentechnik, ökonomische Krisen, Disziplinierung von Geist und Körper, Selbstoptimierung, Hoffnungen, Sehnsüchte, Ängste, Einschläge, Verfall — so folgt man ihnen nur ganz, wenn man versteht, dass in allem Ungenießbaren, Unbehaglichen ein eigentümlicher Reiz liegt: die „Poesie der rätselhaften Dinge, die die Erinnerung an etwas bewahren, das einmal eine Bedeutung für die Menschen hatte“ (zit.n. Wolfgang Petrick, ebd.), denn es waren die Ästhetik und die Intelligenz des Menschen, die diese Dinge schuf.
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ULRICH REIMKASTEN begann seinen künstlerischen Werdegang mit der Ausbildung zum Muster- und Textilzeichner und der frühen Auseinandersetzung mit mit textiler Kunst und Ornamentik verschiedener Hochkulturen, insbesondere mit vorderasiatischen Teppichen. 1974 beschloss er sein Studium an der Fachhochschule für Angewandte Kunst in Schneeberg (Erzgebirge) als Textilgestalter. Nach dem daran anschließenden Diplomabschluss an der Burg Giebichenstein 1980 arbeitete er als freiberuflicher Künstler in Berlin. Von 1985 bis 1988 war er Meisterschüler der Akademie der Künste der DDR bei Herbert Sandberg. Im SEPIA-Institut für Textile Künste, An-Institut der Burg Giebichenstein, das Reimkasten 2010 gründete, wirken seine lebenslangen Bemühungen um die Wahrung und Weiterentwicklung der textilen Künste, speziell des Bildteppichs fort.
Bereits in den frühen eigenständigen Zeichnungen der 1980er Jahre (Auswahl in der Ausstellung) verweigert sich Reimkasten dem sozialistischen Ideal „realistischer“ Darstellung, dem zufolge die Kunst einer vorbildhaften Wirklichkeit oder Ideologie zu schmeicheln habe. Seine Zeichnungen geraten zu „letalen Begegnungen von Tier und Mensch“ (Alexander Haeder, in: Zeichnung. Tapisserie. Malerei. Ulrich Reimkasten, 2005), es geht um Aufruhr, Erotik , Zeugung, Sterblichkeit und die latent gefährdete Balance zwischen Mensch, Natur und Geschichte. Lange vor der intensiven Auseinandersetzung mit paläolitischen Höhlenzeichnungen (1992-96 Reisen nach Frankreich und Spanien) und dem Leben indigener Völker (ab 1996 vier Reisen zu den Tarahumara, Sierra Madre, Mexiko) unternimmt der Künstler Experimente mit selbst gefertigten Malmitteln, zum Beispiel Beizen aus Naturstoffen und gelösten Quarz- und Steinmehlen, Lehm oder sogar der Tinte von Pilzen. Seine Liebe zur Materialität und Verdichtung der Bildoberfläche zeigt Parallelen zu Wolfgang Petrick. Hinter der obersten „Haut“ der Graphiken verbergen sich Notizen/ Textbotschaften, Zitate prähistorischer Ikonographien oder ornamental verschlungene Menschen und Tierwesen. Themen wie die Verkünstlichung der Welt und die fortschreitende Regulierung von Natur und Mensch in der Neuzeit setzt Reimkasten in Bezug zu universalen Mythen und der Idee einer genetischen Verkettung von Kultur und Natur. „Letztendlich interessiert mich das Widernatürliche, die Widernatürlichkeit unserer Welt.“ (Ulrich Reimkasten)
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MATHIAS ROLOFF entwickelte während des Studiums der Malerei und Graphik an der Universität der Künste Berlin (2000-2006) ein besonderes Interesse für die Maltraditionen der flämisch-niederländischen Landschafts- und Stilllebenmalerei des 16. und 17. Jahrhunderts und des Manierismus sowie, hierzu auf den ersten Blick entgegengesetzt, Paul Klees Theorie zur Abstraktion von Farbfeldern und magischen Quadraten. Sein reifer Stil finalisiert die Verbindung und Weiterentwicklung dieser Traditionslinien in der Konfrontation mit surrealistischen Prinzipien: die Konstruktion dystopischer, fantastischer Welten und die Absage an das Normalmaß von Zeit und Raum. Stattdessen scheint es um die Erfindung einer Welt zwischen Wirklichkeit und Traum zu gehen, vielleicht gar um die Erfindung neuer Mythen? — 2002 arbeitete Roloff als Assistent für Bühnenbild an der Berliner Staatsoper. Christoph Tannert spricht in diesem Zusammenhang von einem „Denken und Bilden aus der Farbe, aus dem Material“ heraus, das dem Figürlichen immer eine Chance lasse (in: Alles muss in der Luft stehen. Mathias Roloff, 2020). In der Ausstellung sind Graphiken aus Werkserien zu sehen, die Kompositionen menschlicher Figuren, ihre Gesten, Bewegungen und Interaktionen zeigen. Die Figuren sind oftmals derart verdichtet, dass die Bewegungslinie der einen die Konturen aller anderen zu erzeugen scheint. Sie bilden eine eigene wandlerische Gestalt. Vielleicht sprechen daraus die „Abhängigkeiten, denen das menschliche Individuum in seinem Handeln unterliegt“, äußere Einflüsse und eigenen Wertvorstellungen — ein Thema, das den Künstler immer wieder beschäftigt und das die Brisanz des Unsicherwerdens von Kategorien wie Identität, Wahrheit und Zukunft in Erinnerung ruft, die von der Digitalisierung und Globalisierung im 21. Jahrhundert weiter vorangetrieben werden.
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01.12.2022 - 19.01.2023
Sibyllisches Lächeln
C.D. Aschaffenburg und Maria Wirth
Besäßen Kunstwerke ein Lächeln, dann wäre dies wohl oft ein sibyllisches. Sibyllen, die Seherinnen der altgriechischen Mythologie, antworteten auf die ihnen zugetragenen Fragen nach dem Wohl und Wehe des Schicksals stets nur in Andeutungen oder Rätseln und entließen manchmal ihre Gäste mit der Mehrdeutigkeit eines bloßen Lächelns. Nicht die eindeutige (Er-) Klärung war ihre Profession. Vielmehr gaben sie die Verantwortung des Nachdenkens und Deutens direkt (wie ein Spiegel?) zurück an die Ratsuchenden.
Die Referenz auf dieses antike Motiv betont ein wesentliches gemeinsames Bestreben der beiden Künstlerpersönlichkeiten der Ausstellung, nämlich das Aufwerfen bzw. nicht zur Ruhe kommen lassen von Fragen, das heißt, die Lust am Fragen anregen, anstatt zu beantworten, verbunden mit der Faszination für alles Geheimnisvolle, Mehrdeutige, Absurde im Sein und Denken des Menschen.
Der Experimentalfilmkünstler und Maler C.D. Aschaffenburg (*1953) realisiert diese Idee in einer speziellen Verbindung von zeitgenössischem Magischen Realismus und Experimenten im Bereich des Expanded Painting. Seine verdichteten Bildentwürfe, hier und da verknüpft mit Zitaten der Kunstgeschichte von antiker Mythologie bis zur klassischen Moderne, entfalten vieldeutige Welten voller Fantasie, Witz und Ironie.
Die Bilder der Malerin Maria Wirth (*1987) sind inspiriert von antiken Mythologien und surrealistischen Ideen, umkreisen dabei jedoch stets die Grenze zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, konfrontiert mit eigengesetzlichen Substanzen wie Schellack, Leim, Asche und Pflanzenmaterialien. Weiblichkeit, Körperlichkeit, Intimität und das Durchkreuzen human(istisch)er und animalischer Identitätskategorien gehören zu den zentralen Themen ihrer künstlerischen Arbeit.
Jedes Lächeln ist eine mögliche Wiederverzauberung der Welt.
Jedes Lächeln ist Verführung und zugleich Verführtwerdenwollen.
Jedes Lächeln ist ein Beweis für die Uneinlösbarkeit der Hoffnung auf die eindeutige Wahrheit.
Jedes Kunstwerk ist ein mögliches Lächeln.
13.10. - 24.11.2022
Umgepflügte Zeit
Elisabeth Störmer-Hemmelgarn
Wie ließe sich eine „umgepflügte Zeit“ denken? Hieße dies: die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus ihrer Ordnung reißen, sie zerstückeln und in Gliedern neu auswerfen, um zu sehen, was hier entstünde? Hieße dies: Zeitlosigkeit, ein Halt im Kreislauf von Werden und Vergehen? Die Gemälde der Malerin Elisabeth Störmer-Hemmelgarn führen uns zu verfallenen Bauwerken, eingebettet in eine wilde Natur: alte Kirchengewölbe, Ruinen, verlassene Fabriken, Mühlen, Gartenhäuschen, eine Kolonie zerfallener Strandkörbe am Meer. Außerdem sehen wir weite poetische Landschaften und Himmel, die allein für die Erhabenheit von Wolken gemacht zu sein scheinen. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Bilder menschenleer. Nicht aber menschenlos, denn in jedem einsamen Gebäude, ja, jedem verrosteten Werkzeug begegnen wir dem Nachlass eines Menschen. Längst jenseits ihrer blühenden Jahre, so bewahren diese zurückgebliebenen Architekturen und Gerätschaften doch das Echo jener Stimmen, die hier einst gewirkt haben. Was an ihrer statt gedeiht und blüht, ist die Natur. Sie holt sich den Platz zurück, den man ihr nahm und stellt dem Verschwinden von Kultur ihre unverwüstliche Schönheit gegenüber. Eine besondere Rolle in allen Bildern spielt das Licht. „Es gibt nicht eine Interieur-Arbeit von Elisabeth Störmer-Hemmelgarn, in der sich nicht ein Fenster, eine Tür, ein Tor, ein Durchlass öffnete und Licht hereinließe: strahlendes, gleißendes, flutendes, freundliches Licht“.(1) Ob hinter hohen Wolkenbergen hervorbrechend, eine Lichtung in das sanfte Anklingen eines Tages tauchend oder Sonnenfelder durch die Luke eines Dachbodens werfend — das Licht kommt stets von jenseits des Bildraumes und wird so zu Einladung, Versprechen, Ahnung und Geheimnis.
- (1) Edda Bosse, Einführung in die Ausstellung „Bilder von Gedeih und Verderb — 20 Jahre Malerei von Elisabeth Störmer-Hemmelgarn“, Stiftung Overbeck
Elisabeth Störmer-Hemmelgarn (*1948)
1968-1973 Graphikstudium an der Staatliche Hochschule für Bildende Künste Berlin | 1973-1976 Studium an der Pädagogischen Hochschule Berlin | 1976-1980 Lehrerin für Bildende Kunst und Biologie in Berlin | Seit 1980 freiberufliche Malerin | 1980-1997 Mitglied im BBK | 1989-2004 Mitglied der Künstlergruppe „Maler vor Ort“, ein Zusammenschluss der sieben Berliner Maler und Bildhauer Matthias Koeppel, Ernst Leonhardt, Hans Beyermann, Falko Hamm, Louis, Kornelius Wilkens und Elisabeth Störmer-Hemmelgarn | 1990 Aufnahme in den VBK als erstes weibliches Mitglied seit 1841 | 1994-2001 Mitglied im Künstlersonderbund Deutschland, Realismus der Gegenwart | 1996-1998 erste Vorsitzende im Künstlersonderbund | 2018 Gründung der Elisabeth Störmer-Hemmelgarn Stiftung im Rahmen der Stiftung Stadtmuseum Berlin
18.08. - 29.09.2022
irden und licht
Objekte und Photographie von Aino Nebel & Renée Pötzscher
"Keramik und Photographie scheint nichts miteinander zu verbinden. Aino Nebel schafft aus dem Brennofen heraus poetische Skulpturen. Renée Pötzscher überlässt die Belichtung ihrer Motive dem kontrollierten Zufall. Beide Künstlerinnen denken bildhauerisch – schöpfen irdene Gebilde aus der Materie und bannen das Licht in ätherischen Formen. irden und licht. Das Geheimnis der Verbindung bewegt sich zwischen Himmel und Erde." (Silke Tobeler, Gastkuratorin der Ausstellung)
Aino Nebel. Die Objekte der 1972 in Berlin geborenen Bildhauerin (Bild oben) entstehen aus der Verbindung von mineralischen Werkstoffen wie Ton, Gips, Glas und Porzellan mit organischen, vergänglichen und fragilen Materialien wie Blüten, Früchten, Papier oder Zucker. Das Brennen im Ofen lässt aus Prozessen des Weichwerdens, Verbrennens, der Kristallisation und Härtung originäre Skulpturen hervortreten, die manchmal wie Gefäße, manchmal wie natürliche Formationen anmuten, jedoch im Hinblick auf Form und Oberflächenstruktur zu bizarr und eigensinnig sind, um sich einordnen zu lassen. Die Ausstellung zeigt auch eine Auswahl von Zeichnungen, die weitere Einblicke in die Werkstatt der Künstlerin geben.
Renée Pötzscher. Ein Herzstück im Oeuvre der 1945 in Österreich geborenen Photographin und Videokünstlerin sind Mond und Mondlicht, die sie als Inspiration und Ausdrucksträger für ihre Auseinandersetzung mit weiblicher Identität, eigenem Körper, Bild und Abbild des Weiblichen sowie Selbstinszenierungen nutzt. In ihren Arbeiten fungieren das Licht und sein Konterfei, das Dunkel bzw. die Nacht, als Chiasmus aus Medium und Inhalt. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl ihrer Mondbelichtungen und -photographien, ihrer Luminogramme (experimentelle Arbeiten mit künstlichem Licht) und Selbstbildnisse. Den photographischen Werken sind freie Zeichnungen und Tagebucheinträge zur Seite gestellt.
Beide Künstlerinnen verfügen über einen vielfältigen wie umfangreichen Fundus an Papierarbeiten. Mit Tusche, Tinte, Kreide, Pigment und Bleistift gefertigt, geben diese oft seriellen Arbeiten Einblicke in die Auseinandersetzung mit Linie, Farbe, Schraffur und der Responsibilität des sensiblen Materials Papier.
Für Renée Pötzscher hat die künstlerische Arbeit auf dem Papier eine Bedeutung, die mit dem Tagebuchschreiben vergleichbar ist: der Akt des Zeichnens als In-sich-Gehen, als Nachspüren der eigenen Stimmung und Aufzeichnen kreativer Energien, die in der Gesamtkomposition ihren Sinn finden. Oft mit schwarzer oder rotbrauner Tinte auf unberührtem Grund, lassen die Zeichnungen an Schriftzeichen denken, intuitiven Kalligraphien ähnlich.
Aino Nebel beschäftigt sich in der Zeichnung mit ähnlichen Fragen wie bei der bildhauerischen Arbeit: wie wird man den Eigenheiten von Materialien in ihren Wechselwirkungen gerecht? Wie dem Papier und seiner Reaktion auf beispielsweise Tee, Öl oder die Bleistiftmiene? Was drückt ein Strich im Vorbeigehen aus, was einer, der mit dem Lineal gezogen ist? Und: wie entsteht Räumlichkeit in einem kleinen Format?
>> Künstlerinnengespräch zur Ausstellung auf YouTube
18.08. - 29.09.2022
irden und licht
Objekte und Photographie von Aino Nebel & Renée Pötzscher
"Keramik und Photographie scheint nichts miteinander zu verbinden. Aino Nebel schafft aus dem Brennofen heraus poetische Skulpturen. Renée Pötzscher überlässt die Belichtung ihrer Motive dem kontrollierten Zufall. Beide Künstlerinnen denken bildhauerisch – schöpfen irdene Gebilde aus der Materie und bannen das Licht in ätherischen Formen. irden und licht. Das Geheimnis der Verbindung bewegt sich zwischen Himmel und Erde." (Silke Tobeler, Gastkuratorin der Ausstellung)
Renée Pötzscher. Ein Herzstück im Oeuvre der 1945 in Österreich geborenen Photographin und Videokünstlerin sind Mond und Mondlicht, die sie als Inspiration und Ausdrucksträger für ihre Auseinandersetzung mit weiblicher Identität, eigenem Körper, Bild und Abbild des Weiblichen sowie Selbstinszenierungen nutzt. In ihren Arbeiten fungieren das Licht und sein Konterfei, das Dunkel bzw. die Nacht, als Chiasmus aus Medium und Inhalt. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl ihrer Mondbelichtungen und -photographien, ihrer Luminogramme (experimentelle Arbeiten mit künstlichem Licht, siehe Bild oben) und Selbstbildnisse. Den photographischen Werken sind freie Zeichnungen und Tagebucheinträge zur Seite gestellt.
Aino Nebel. Die Objekte der 1972 in Berlin geborenen Bildhauerin (Bild oben) entstehen aus der Verbindung von mineralischen Werkstoffen wie Ton, Gips, Glas und Porzellan mit organischen, vergänglichen und fragilen Materialien wie Blüten, Früchten, Papier oder Zucker. Das Brennen im Ofen lässt aus Prozessen des Weichwerdens, Verbrennens, der Kristallisation und Härtung originäre Skulpturen hervortreten, die manchmal wie Gefäße, manchmal wie natürliche Formationen anmuten, jedoch im Hinblick auf Form und Oberflächenstruktur zu bizarr und eigensinnig sind, um sich einordnen zu lassen. Die Ausstellung zeigt auch eine Auswahl von Zeichnungen, die weitere Einblicke in die Werkstatt der Künstlerin geben.
Vernissage
Donnerstag, 18.08. 17:00 - 21:00 | 19:00 Künstlerinnengespräch unter Moderation von Silke Tobeler und Maria Wirth
Lesung
Samstag, 03.09. 19:00 Autor und Schauspieler Mathias Kopetzki liest aus seinem Roman „Teheran im Bauch“
30.06. - 11.08.2022
women things
Christian Wewerka
Podiumsdiskussion
Freitag, 05.08. 19:00 | Jens Pepper, Dilyana Gibelin und Christian Wewerka sprechen über erotische Photographie, die Darstellung weiblicher Nacktheit, Fetisch und Gewalt
Die Photographien von Christian Wewerka (*1961), denen die Ausstellung gewidmet ist, sind erotische Inszenierungen von jungen Frauen: mal still beobachtend, mal sinnlich, mal provozierend, immer direkt und ohne jede Berührungsangst vor Klischees. Seit 2019 arbeitet der Photograph mit der szenischen Konfrontation seiner weiblichen, nicht oder nur sparsam bekleideten Modelle mit signifikanten Gegenständen: einem antiken Möbel, einem Kaffeegedeck, einem Kuschelbären oder einem Federkopfschmuck aus dem Varieté. Vergleichbar mit Theater oder Film wird für jedes Shooting eine Rahmensituation gestaltet, in der Wewerka dann gemeinsam mit dem Model ausdrucksvolle Szenen entwickelt. Dieser szenische Ansatz, der eine arrangierte Situation zur Bühne für die spontane Kommunikation zwischen Model und Photograph macht, steht im Fokus der Ausstellung. Die Inspiration für diese Strategie der photographischen Regie nimmt Christian Wewerka aus der Schauspielpraxis. Seine eigene Karriere als Schauspieler und Sprecher begann Anfang der 1980er Jahre an Berliner OFF-Theatern unter Einfluss von namhaften nationalen und internationalen Lehrerinnen und Lehrern wie Geraldine Baron und Keith Johnstone. Durch die Art der Lichtführung und eine gezielt sparsame Farb- und Formkomposition erhalten Wewerkas Photographien einen malerischen Charakter. Die reduzierte Gestaltung der Bildräume erinnert hier und da an Lost Places: Orte im Nirgendwo, Orte, die aus der Zeit gefallen sind — vielleicht wie einige Phantasien, die sich in ihnen finden lassen. In den Bildern liegt eine eigentümliche Spannung aus Intimität und gleichzeitiger Entrücktheit des weiblichen Körpers. Was sie an erotischem Reiz und der Provokation von Nacktheit mitbringen, wird durch Wewerkas Blick für die Innerlichkeit der Protagonistinnen gemildert. Nicht selten verwischen sich so die Grenzen zwischen Stärke und Verletzlichkeit, Echtheit und Spiel, Devotie und Stolz.
12.05. - 23.06.2022
Jürgen Tenz
Blausaftapparat und Propellerengel
1942 in Berlin-Siemensstadt geboren, steht Jürgen Tenz als Zeitgenosse der sogenannten Trümmerkinder-Jahrgänge für eine Künstlergeneration, die vom Zweiten Weltkrieg an Deutschland in den Höhen und Tiefen bedeutender gesellschaftsgeschichtlicher Wandlungen miterlebt hat: nach der zehrenden Nachkriegszeit die Wirtschaftswunderjahre, die Teilung Deutschlands in Ost und West, Kalter Krieg, Mauerbau und Wiedervereinigung. Im Dezember 2021 verstorben, hat sich der von der Gebrauchsgraphik und wissenschaftlichen Zeichnung kommende Künstler Tenz zeitlebens mit der Rolle des Menschen in der Gesellschaft und den Konflikten beschäftigt, die zwischen beiden Ebenen bestehen. Ob wir in seinen Werken auf singuläre Figuren, Figurenszenen oder Massen kleiner Körper treffen, die, stürzend, fließend, neue große Gebilde formen — überall scheint etwas oder jemand auf dem Spiel zu stehen, ja, ein Prozess oder eine Transformation in Gang gekommen zu sein.
Die Vielfalt an Genres und Stilistik, die Tenz‘ Oeuvre versammelt, spiegelt wider, wie sich der Künstler immer neuen Fragen stellte und wie er auch für klassische Themen neue Formulierungen suchte. Die Ausstellung kann in dieses umfassende Lebenswerk nur einzelne Einblicke geben. Dennoch zeigt die Auswahl aus Federzeichnung und Gouache (1970er Jahre), Hochdruck (1990er), Malerei und Collage (1997-2014) sowie Radierung (2006-2019) seine Mehrschichtigkeit und Unabhängigkeit.
Was alle Werke verbindet, ist die Entscheidung zur gegenständlichen Darstellung, ob fein meisterlich ausgearbeitet oder durch Reduktion und Abstraktion aus den Angeln der Realität gehoben, ob im konzentrierten Schwarz-Weiß der Graphik oder in der Farbigkeit expressiver Malerei. Die Auseinandersetzung mit antiker Mythologie wie auch das Spiel mit Kunstgeschichte, Mechanik, Gesellschaftspolitik und der Ästhetik des Tanzes erzählen von einem großen Wissensschatz und Wissensdurst des Künstlers. Nicht zuletzt in diesem Punkt repräsentiert sein Werk in äußerst aktueller Weise die fortschreitende Komplexität und Prozessualität des 20. und 21. Jahrhunderts.
24.03. - 05.05.2022
Faces of life
Manfred Carpentier - Michael Dressel - Dieter Matthes
24.03. - 05.05.2022
Faces of life
Manfred Carpentier - Michael Dressel - Dieter Matthes
Mit Manfred Carpentier, Michael Dressel und Dieter Matthes begegnen sich in der Ausstellung drei Persönlichkeiten, die auch privat befreundet sind. Ihre Photographien teilen das Interesse am Menschen, vor allem an Menschen in den Großstädten der Welt. Was sie auszeichnet, ist die Art und Weise, wie sie uns die Welt in ihren Bildern wahrnehmen lassen. Ihre photographischen Konzepte decken ein breites Spektrum zwischen Innerlichkeit, Street Photography und einer Vorstellung von Mensch und Stadtraum als künstlerische Einheit ab.
Von 2010 bis 2018 leitete Manfred Carpentier, geboren 1954 in Gerolstein (Eifel), die Galerie Carpentier, raum für kunst in Berlin-Charlottenburg mit einem Schwerpunkt auf Berliner Photographen und berlinspezifischen Themen. Die Galerie war ein wichtiger Knotenpunkt für die Photoszene der Stadt und darüber hinaus. Carpentiers eigenes photographisches Werk umfasst Genres wie Landschaft, Stillleben, Akt und Porträt. In seiner Serie "Selfies" macht er sich selbst zum Modell. Die ausdrucksstarken Porträts, die mit einem Fernauslöser entstanden sind, wirken wie Standbilder einer kompromisslosen Selbstbefragung. Vor einem schwarzen Hintergrund fächern sich die Gesichter zu multiplen Identitäten auf. Folgt man ihren Titeln, erscheinen die Porträts wie Studien menschlicher Zustände: "Raten", "Schreien", "Staunen" - und immer die Frage: Wer bin ich? Carpentier löst die Antwort in Fragmente einer Bewegung auf, fast so, als würde der Photograph sich selbst mit seiner Kamera sezieren. Er ist allein, keine zweite Person im Raum. Ich und Ich. Durch die Überlagerung mehrerer Ergebnisse einer Aufnahme entstehen Bilder, die an den Maler Francis Bacon erinnern. In seiner Serie "Expressionismus" interpretiert Manfred Carpentier Texte der deutschen Dichter Jakob von Hoddis und August Stramm. Seine Photomontagen wirken ebenso fragmentarisch und irritierend wie deren expressionistische Gedichte. Sie bestehen aus Motiven von Open-Source-Bildern aus dem Internet und eigenen Photographien. In diesem "Eklektizismus" aus frei fluktuierenden Bildern aus dem Internet und eigenen Bildern kehrt der fragmentarische Charakter der "Selfies" wieder. In beiden Serien findet sich auch ein Verweis auf die Überkomplexität des digitalen Zeitalters mit seiner unüberschaubaren Anzahl von Identitäten und "Bildern". Und es geht auch um Kritik: "Jeden Tag", so Carpentier, "schwirren Milliarden von Selfies durch die von allem Sozialen sterilisierten Netzwerke, mit dem Ergebnis einer globalen, psychosozialen Verwahrlosung".
Michael Dressel erschient bereits mehrfach im Brennpunkt. Im November 2021 wurde sein Photobuch "Los(t) Angeles", verbunden mit einer Ausstellung im Schloss Rheinsberg publiziert. Im Juni 2022 waren seine Photographien in einer "Hollywood"-Ausstellung in der Helmut Newton Stiftung zu sehen. Diese wachsende öffentliche Präsenz ist eine längst überfällige Antwort auf eine besondere deutsch-amerikanische Künstlerbiografie und den Weg eines unverwechselbaren Straßenphotographen. Geboren 1958 in Ost-Berlin, Bühnenbildner, beim Versuch, über die Mauer zu fliehen, verhaftet und für zwei Jahre in einem Stasi-Gefängnis inhaftiert, fand Michael Dressel im Alter von 27 Jahren den Weg nach Los Angeles. Die Stadt wurde zu seiner zweiten Heimat. Jahrelang, in denen er als Tonmeister in zahlreichen bekannten Hollywood-Filmen arbeitete, photographierte er Menschen auf den Straßen der Stadt: skurrile Erscheinungen, zum Teil obdachlose, verwirrte und aggressive Menschen. Michael Dressels Ansatz ist die besondere Empathie und Augenhöhe, die er den Protagonisten seiner Aufnahmen entgegenbringt. Eine schwer einzuordnende Spannung zwischen Unsicherheit, ja, Entfremdung und gleichzeitig dem Gefühl, diesen Menschen am Rande der Gesellschaft nahe zu sein, ihre Würde anzuerkennen - das macht seine Arbeit so faszinierend. Trotz der fehlenden Tabus bei der Aufzeichnung von Armut, Verfall und sozialer Ausgrenzung beleuchten sie noch etwas ganz anderes: etwas, das uns alle verbindet. In einem Interview mit F. Scott Hess sagt Dressel: "Ich glaube an Magie, an die Magie, die entsteht, wenn man eine Kamera auf das Leben richtet und ein paar Hundertstelsekunden zu einem Bild einfriert. Danach verwandelt sich das Bild in etwas, das ausdrückt, was ich über diese Welt denke und fühle. Diese Magie ermöglicht es mir, mich selbst in dieser Welt zu photographieren." (zitiert aus Los(t) Angeles. Michael Dressel, Gingko Press/ Hartmann Books 2021, S.167)
Dieter Matthes, 1952 in West-Berlin geboren, promovierte an der Freien Universität Berlin in Humanmedizin und arbeitete neun Jahre lang als Facharzt für Innere Medizin und klassische Homöopathie. 1970 begann er, sich intensiv mit dem Medium Photographie zu beschäftigen. Er realisierte zahlreiche Veröffentlichungen in Photozeitschriften wie Photographie, Foto-Magazin, Olympus Magazin und Brennpunkt und erhielt Auszeichnungen auf internationalen Fotosalons. Ab 1989 konzentrierte Dieter Matthes seinen beruflichen Schwerpunkt auf die Photographie, zunächst als Journalist mit Aufträgen für Stern, ZEIT-Magazin, FAZ-Magazin, GEO-Magazin, Focus, Forbes und andere. Für das Magazin GLOBO begleitete er Reportagen in aller Welt, unter anderem über New York, Montevideo, Guadeloupe, Eastern Orient Express und Bangkok. Neben anderen Projekten war er zwischen 1995 und 2000 einer der Hauptautoren der "Blickwinkel"-Kolumne im Berliner Tagesspiegel. Seine Serie "Metropolis" erscheint wie eine Art internationale Charakterstudie von Großstädten: eine Studie über Beton, Stahl und Glas, über Sichtachsen, die in den Himmel fliehen, und einen Lebensraum, der fast ausschließlich aus Architektur besteht. In einer Welt, in der man nirgendwo einen Fuß auf den Boden setzen kann, wirken die Menschen klein und ausgeliefert. Dieter Matthes lässt sie oft in ihrem anonymen Raum stehen. Es gibt aber auch Aufnahmen, in denen die Protagonisten eine emotionale Verbindung zu ihm aufzubauen scheinen: ein intensiver Blick, eine flüchtige Berührung, ein sich küssendes Paar, ein Kind, das den Photographen beobachtet. Vor allem die Serie "Kindheiten" sucht nach solchen Momenten. Dieter Matthes' Bilder bewahren einen Standpunkt der stillen Kontemplation. So gelingt es ihnen mitunter, das Nebeneinander von Stadt und Mensch als künstlerische Struktur, als aufeinander abgestimmte Komposition wahrnehmbar zu machen.
17.02. - 17.03.2022
Die Zeit falten. Und weitergehen
C.D. Aschaffenburg, Sara Assadi, Marek Benczewski, Jan Beumelburg, Ebrahim Ehrari, Caty Forden, Christiane Grasse, Saint James, mehrdad m., Maryam Motallebzadeh, Aurore Millet, NÄNZI, Boriana Pertchinska, Wolfgang Petrick, Ulrich Reimkasten, Mathias Roloff, Uwe Sernow-Rose, Jan Sobottka, TAD.berlin, Tiba
Wie wäre es, wenn man Zeit einfach zusammenfalten und wegwerfen, ja, rückwärts überspringen könnte? Und dann einfach weitermachen, wo man aufgehört hat? Dass das nicht geht, wissen wir spätestens nach zwei Jahren Corona-Pandemie sehr genau. Jede und jeder auf die eigene Art. Nach Ende des ersten Lockdowns im Mai 2020 verwirklichten 17 Künstlerinnen und Künstler in der Galerie feinart berlin spontan eine Gemeinschaftsausstellung, verbunden mit einer Sammlung individueller Berichte und Statements zu ihren Erfahrungen unter Corona.
„Für mich war es, als wäre ich in ein Koma gefallen, manchmal ohne eine Vorstellung, was und wen ich nach dem Aufwachen sehen würde.“ (Tiba) | „Painting the view from my appartment I had the strange feeling that the real world began to look like my paintings. It kept me focused in a way I hadn’t felt for years.“ (Caty Forden) | „Die Corona-Zeit hat eine besondere Ambivalenz zwischen Verbergen und Zeigen, Schutz und Isolation erlebbar gemacht, die dem Maskieren innewohnt: einerseits die digitalen Masken als mediale Bedingung, um soziale Kontakte aufrecht zu erhalten. Andererseits die Maske im realen Raum als Schutz vor und für andere Menschen.“ (Sara Assadi) | „Man könnte die Krise auch wie eine Krankheit als Weg sehen, in der die Kunst einen wesentlichen und vielleicht historischen Beitrag dazu leisten kann, die Zukunft zu gestalten.“ (Maryam Motallebzadeh) | „Krisen sind immer auch Chancen und Chancen müssen genutzt werden. Nach der Krise wird womöglich nichts mehr so sein, wie es davor war. Die Kunst wird sich ihren Platz neu erobern müssen und dabei wird vieles in Frage gestellt werden. Letztlich geht es um einen längst fälligen Paradigmenwechsel, um das Verhältnis von Materiellem und Geistigem, Technologie und Mensch.“ (Ulrich Reimkasten)
Wie blicken Sie heute, zu Beginn von 2022, auf diese Sätze? Zwei Jahre nach Verhängung des ersten Corona-Lockdowns wollen wir mit einer zweiten Gemeinschaftsausstellung an damals anschließen, aber weniger, um zurückzublicken als voran: Wir sind da und machen weiter!
Die Zeit falten und weitergehen, oder, wie der Künstler Mehrdad Mobasseri im April 2020 seinen Lieblingsliteraten zitierte: „Wir verwirklichen uns nie. Wir sind zwei Abgründe — ein Brunnen, der den Himmel anstarrt.“ (Fernando Pessoa)
18.11. - 16.12.2021 | verlängert bis 29.01.2022
Wunschmaschinen - Maria Wirth
„Es atmet, wärmt, ißt. Es scheißt, es fickt. Das Es … Überall sind es Maschinen im wahrsten Sinne des Wortes: Maschinen von Maschinen, mit ihren Kupplungen und Schaltungen. Angeschlossen eine Organmaschine an eine Quellmaschine: Der Strom, von dieser hervorgebracht, wird von jener unterbrochen. Die Brust ist eine Maschine zur Herstellung von Milch, und mit ihr verkoppelt die Mundmaschine. Der Mund des Appetitlosen hält die Schwebe zwischen einer Eßmaschine, einer Analmaschine, einer Sprechmaschine, einer Atmungsmaschine (Asthma-Anfall). In diesem Sinne ist jeder Bastler; einem jeden seine kleinen Maschinen.“
(Deleuze/ Guattari, Anti-Ödipus: Kapitalismus und Schizophrenie)
In der Malerei von Maria Wirth (*1987) geht es um Körperlichkeit, Identität und zwischenmenschliche Wirklichkeiten. Ihre farbintensiven abstrakten Bildräume behausen menschliche und tierische Körper, die sich, so prägnant sie auf den ersten Blick wirken mögen, gleichzeitig verschließen und tiefe Widersprüchlichkeiten in sich bergen. Die Künstlerin, die 2015 ihren M.A. Philosophie an der Freien Universität Berlin absolvierte, setzt sich in ihren Arbeiten immer wieder mit Weiblichkeit und Erotik auseinander — einer hintergründigen Erotik, die mehr an Existenziellem als an Lust und Leidenschaft rührt. In ihrer unabhängigen Bildsprache erforscht sie ambivalente Gefühle und Werte, die konträr zu einfachen Gegensatzlogiken wie Mann-Frau, Macht-Ohnmacht, Täterin-Opfer, Hass-Liebe, Jung-Alt stehen.
Mit dem Titel „Wunschmaschinen“ rückt Maria Wirth ihre Arbeiten aus 2021 in das Licht einer psychologisch-strukturalistischen Kapitalismus- und Konsumkritik im Gedanken an die französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari. Ist etwa unser begehrendes, zu Selbstbefriedigung, zu Produktion und Konsum neigendes Unbewusstes der eigentliche Demiurg, der eigentliche Kapitalist dieser Welt? Nicht zufällig tauchen in den Bildern der Künstlerin immer wieder Tiere und Chimären auf, die sie als Alter-ego der sinnlichen wie auch der unbewussten Ebenen des Menschen kreiert, in denen Animalisches und Menschliches, Instinkt und Ratio verschmelzen.
>> Ausstellungsbesuch von female-gaze.blog
14.10. - 11.11.2021
Shades of Water
Ebrahim Ehrari
Ab 1957 arbeitete Ebrahim Ehrari, geboren 1938 in Urmia, Iran (Provinz West-Aserbaidschan), für zwei Jahre als Pipelineschweißer auf der Insel Kharg im Persischen Golf. Zum Teil wurde ohne Taucherausrüstung in eine Tiefe von bis zu 40 Metern getaucht. Dieses eindringliche Erlebnis des Meeres, seiner Macht und stillen Tiefe sowie seiner Formvielfalt haben das Werk des Künstlers lebenslang geprägt. Unter dem Titel „Shades of Water“ treffen jetzt Arbeiten aus dem Früh- und dem Spätwerk Ehraris in einer Ausstellung zusammen. Im Zentrum steht das Motiv des Wassers: das Wasser als Element des Lebens, als Symbol für Reinigung, Zeit und Wissen, aber auch als Repräsentant des Schicksals, des Unbewussten und der Sehnsüchte sowie als Urgewalt und Mahnung.
Ebrahim Ehraris Frühwerk ist bestimmt durch meisterliche Radierungen, die Michael Nungesser 1982 treffend als metaphorisch verschlüsselte Bildwelten zwischen Realistik und symbolischer Überhöhung beschreibt: „naturalistisch in der Form, phantastisch in Struktur, Farbe und inhaltlicher Kombinatorik“, balancierend „zwischen Abbildhaftem und poetisch Sinnbildhaftem“. Im Vergleich hierzu äußern die farbintensiven, abstrakten Öl- und Acrylgemälde des Spätwerkes eine Lust zur Entgrenzung des Gegenständlichen und zur Feier der Farbe.
Das künstlerische Lebenswerk von Ebrahim Ehrari wie auch das soziale und politische Bewusstsein, das ihn ausmacht, vereinen zwei Pole: die Verbundenheit zur Heimat einerseits und das Streben nach Selbstbestimmung und Freiheit andererseits. Seit 1966 in Berlin, studierte er zwischen 1968 und 1973 unter Prof. Wolfgang Ludwig und Prof. Hans Fortsch Graphik Design an der HdK. 1973-75 lehrte er im Bereich Graphische Techniken an der Fakultät für Schöne Künste an der Universität Teheran sowie an der dortigen Hochschule für Angewandte Kunst. 1975-78 studierte er Kunstgeschichte an der FU Berlin und leitete zwischen 1976 und 2003 die Radierwerkstatt des Künstlerhauses Bethanien vom BBK. Seit 1983 engagiert sich Ebrahim Ehrari für den Kunst- und Kulturaustausch zwischen Deutschland und Aserbaidschan, u.a. als Mitbegründer und Vorsitzender des Aserbaidschanisch-Deutschen Kulturfördervereins. Die von ihm 2007 gegründete Galerie Berlin-Baku in Schöneberg (ab 2014 geleitet von Tochter Parwane Ehrari) war bis 2018 nicht nur ein renommierter Ausstellungsort sondern auch ein Begegnungszentrum für Künstler*innen unterschiedlicher Kulturen und Nationen.
09.09. - 07.10.2021
Ungeschehene Orte
Thomas Kleemann
Wer die illusionistischen Räume aus Architektur- und Naturfragmenten von Thomas Kleemann (*1954) kennt, weiß, hier handelt es sich keinesfalls um Ideen von Landschaften, und doch besitzen diese Szenen eine so intensive, plastische Wirkung, dass man den Blick unendlich wandern lassen möchte. Als Meisterschüler von Johannes Geccelli (UdK 1981) von der Abstraktion kommend, verdichtet er seit den 1990ern seine Farbstrukturen und Reliefs aus Siliziumkarbit auf der Leinwand so, dass erkennbare Gegenstände und, mit ihnen, dem Menschen vertraute Welten auftauchen. Dennoch ist hier keine Realität. Was der Künstler uns zeigt, liegt jenseits. Es scheint, als wären hier andere Wirklichkeiten geschaffen, tief und geheimnisvoll. Die Architekturen ebenso wie die landschaftlichen Bezüge in seinen Gemälden sind hingegen geradezu archetypisch: Brücken, Häuser, Treppen, Ufer, Gebirge, die See. In verrätselte Farb- und Lichträume* gefügt, erweitern sie das subjektive Bilderlebnis hinein in den Bereich des kollektiven Bildgedächtnisses. Auf diese Weise öffnen Thomas Kleemanns Werke eine Tür zurück in Vorstellungsräume einer weit zurückreichenden Kulturgeschichte. Möglicherweise erscheint es deshalb, als würden die Gemälde weniger den Raum als vielmehr die Zeit sichtbar machen. Obwohl die meisten von ihnen keine Menschen zeigen, so sind sie nicht menschenleer. Im Gegenteil scheint alles vom menschlichen Geist bewohnt, ja, für ihn vorgesehen, um durchstreift zu werden.
Thomas Kleemann, Stipendiat der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo, Casa Baldi, und Karl-Hofer-Stipendiat, ist seit 1985 freischaffend als Künstler tätig und lebt und arbeitet in Berlin und Melz/ Müritz. Er verzeichnet zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in namhaften Kunstvereinen, Galerien und Museen unter anderem in Berlin, Hamburg, Potsdam, Düsseldorf, Saarbrücken, Mannheim, Dresden, Kiel, München wie bspw. Einzelausstellungen im Ostholstein-Museum (Eutin), Kulturforum Villa Oppenheim (Berlin) oder dem Rosenhang Museum (Weilburg) sowie Präsentationen auf Kunstmessen, darunter Nord Art, Kunstmesse Düsseldorf, ART Innsbruck, art Karlsruhe und der POSITIONS BERLIN ART FAIR.
05.08. - 02.09.2021
Wildbahn Berlin
17 Jahre Photographie der Berliner Kunstszene von Jan Sobottka
In der Ausstellung zeigt Jan Sobottka ausgewählte Ergebnisse aus 17 Jahren Photographie der Berliner Kunstszene und ihrer Protagonist*innen - festgehalten in zwei Sujets: zum einen der Dokumentation von zahlreichen Eröffnungen in Galerien, Museen und Ateliers, zum anderen der Arbeit mit Modellen im privaten, intimeren Raum jenseits der Öffentlichkeit. Um einen Blick auf die Persönlichkeiten zu werfen, die hinter Jan Sobottkas Portraits stehen, wird die Ausstellung von originalen Kunstwerken einiger der abgebildeten Künstler*innen ergänzt.
Teilnehmende Künstler*innen: C.D. Aschaffenburg, Roger Ballen, Horst Bartnig, Manfred Carpentier, Michael Dressel, Angela Dwyer, Samira Freitag, Hermann Kleinknecht, Gertrude Köhler, Colette Lumiere, Gerhard Mantz, Elisabeth Masé, NÄNZI, Wolfgang Petrick, Gérard Waskievitz und Maria Wirth | Aus dem Privatbesitz von Jan Sobottka: Einzelstücke von Alexander Kluge und Jonathan Meese
Über den Photographen Jan Sobottka
Als Maler bei Prof. Wolfgang Petrick an der HfBK ausgebildet, lebt der künstlerische Stil seiner Photographie von seinen Kenntnissen über Gestaltungsprinzipien und Motivgeschichten aus der Malerei. Insbesondere in den Portraitarbeiten zeigt sich der Einfluss der Renaissance auf Jan Sobottkas Art der Lichtführung, die Wahl des Bildausschnittes und die geschlossene Komposition. Wie die Maler damals faszinieren ihn der Blick und die Pose als Ausdrucksträger des Selbstverständnisses, Stolzes, ja, des Geheimnisses einer Person.
www.catonbed.de - Der Fundus, aus dem Jan Sobottka seine Photographien auswählt, ist mit rund 50.000 Bildern das größte, frei zugängliche Online-Bild-Archiv der Berliner Kunstszene. Als Dokumentation angelegt erzählt das Archiv davon, wie sich der Photograph immer auch für die Geschichten interessiert, die hinter den eingefangenen Gesichtern stehen. Der Schlüssel seiner Kunst liegt im Aufbau einer natürlichen, gegenseitigen Beziehung zu seinem Gegenüber.
Ein Credo des Photographen ist die Arbeit mit available light, das heißt, mit dem vor Ort verfügbaren Licht. Sich auf Licht als eine ungewisse, instabile Komponente einzulassen, die Herausforderung, gute Einstellungen in Räumen zu entwickeln, so, wie er sie vorfindet, hierin liegt eine wichtige Quelle der Inspiration.
Seit 2007 arbeitet Jan Sobottka mit Modellen. Im Unterschied zur klassischen Studio-Photographie entwickelt er die Shootings in seinem privaten Umfeld, oft ohne abgestecktes Zeitfenster und szenische Regie. Überwiegend sind die Modelle junge Frauen und es liegt einer ihrer Reize darin, dass die Photographien immer auch das Thema Weiblichkeit verhandeln - in allen Facetten ihrer melancholischen, vom Leben gezeichneten, einsamen, verspielten, kokettierenden oder lustvollen Gestalten, aber auch durch die Frage nach dem Bedürfnis von Frauen nach der Anerkennung ihres Körpers, dem Gefallen und Gefallenwollen gegenüber Betrachtern. Aus dieser Sicht lassen sich Sobottkas Photographien auch mit der nach wie vor aktuellen Debatte über Geschlechterbilder in Verbindung bringen, die die Formen der Selbstbestimmung von Frauen in der modernen westlichen Welt maßgeblich geprägt haben.
01.07. - 29.07.2021
Vom Wind getragen
Maryam Motallebzadeh
Ob Malerei, Tuschezeichnung auf Papier, Installation oder Film, Maryam Motallebzadehs Kunstwerke lassen sich als eine Art Zeitzeugen verstehen - geschaffen im Bewusstsein um bestimmte Lebenszeiten und den Einfluss bestimmter gesellschaftlicher und politischer Umstände, die das Erleben und Denken der Künstlerin beeinflussen. Auch deshalb waren Reisen und Begegnungen mit anderen Kulturen stets eine wichtige Inspirationsquelle für ihre künstlerische Themenfindung.
Ausstellungen der gebürtigen Iranerin haben oft den Charakter von Räumen, die wie Tagebücher angefüllt sind mit Notizen und mit Spuren von Gedanken, Gefühlen und Erlebnissen aus einem bewegten Leben. Die Künstlerin hat sich, zwischen Orient und Okzident wandelnd, intensiv mit Themen wie Heimat, Identität, Sprache und dem Verhältnis von Ich und Natur beschäftigt.
Die Ausstellung „Vom Wind getragen“ steht im Zeichen des Themas Schicksal und versammelt Werke, die formal durch eine besondere Leichtigkeit und Dynamik gekennzeichnet sind. Schnell stößt man jedoch auch hier auf spannungsvolle Stellen, sei es, wo leidenschaftlich zerstäubendes Rot sanfte weiße Flächen angreift, sei es, wo das Motiv des Schleiers ein komplexes Bedeutungsfeld aus Verbergen und Aufdecken, Fremdheit und Intimität, Abweisung und Verführung eröffnet. In der Installation „Hinter dem Schleier“ arbeitet Maryam Motallebzadeh zum Beispiel mit der Symbolik, die dieses Motivs im alten Ägypten und im antiken Griechenland besaß. Dort stand der Schleier für die Scheide zwischen Leben und Tod, zwischen Täuschung und Erkenntnis, Tod und Wiedergeburt.
Einige der in der Ausstellung gezeigten Arbeiten sind während der Corona-Pandemie entstanden und betonen die aktuelle Brisanz von Fragen nach Vergänglichkeit, Ungewissheit und, nicht zuletzt: der Liebe.
15.04. - 24.06.2021
U T O P I E R
Willi Sitte und Ulrich Reimkasten
"Mutig, feinsinnig und überfällig, die Neusicht auf das Sitte-Werk und die geglückte Symbiose mit Reimkastens Facettenreichtum.
Danke für dieses Erlebnis und verdienten Erfolg für Sie und die Künstler. Begeistert und bereichert heimgelaufen."
S. Ikonomow, Ausstellungsbesucherin, 16.04.
Vortrag von Dr. Eckhart Gillen zu den kunstgeschichtlichen Hintergründen der Ausstellung und der Verbindung der Oeuvres von Willi Sitte und Ulrich Reimkasten
>> den Vortrag auf YouTube anschauen
Zwischen Generationen - ob Lehrer*innen und Schüler*innen, Vätern und Söhnen, Müttern und Töchtern - steht eine Umbruchszeit. Vor allem in der Kunst: eine Zeit der Unterweisung, der Infragestellung und der Identitätsbildung. Hier werden das Woher und Wohin von Biographien verhandelt und der Rahmen für die Weitergabe und den Wandel von Werten, Ideen und künstlerischen Ausdrucksformen gestiftet.
Anlässlich des Willi-Sitte-Jahres 2021 zu dessen 100. Geburtstag zeigt die Galerie feinart berlin eine Auswahl aus seinen „Hommages an die Meister“ zusammen mit Zeichnungen und Malereien von Ulrich Reimkasten, der zwischen 1975 und 1985 zum Schülerkreis um Willi Sitte gehörte.
Willi Sittes Druckgraphiken „Hommages an die Meister“ imaginieren sich, dem Pathos seiner expressiven Körperdarstellungen und lebendig pulsierenden Bildkompositionen folgend, in die Stilwelten seiner großen Vorbilder wie Michelangelo, Courbet und Ernst. Hier knüpfen auf ihre Weise die frühen Zeichnungen und Tuschen von Ulrich Reimkasten an. Sie geben Einblick in die Werkstatt des jungen Künstlers sowie dessen Auseinandersetzung mit Vorbildern und der Suche nach einer eigenen Ausdruckssprache. Was der heute emeritierter Professor für Malerei und Textile Künste an der Burg Giebichenstein, Kunsthochschule Halle und einer der wenigen zeitgenössischen Tapisserie-Meister daraus in seinem reifen Oeuvre entwickelt hat, zeigt die Ausstellung am Beispiel von Malereien aus verschiedenen Serien.
Die Ausstellung steht im Zeichen einer Neugier für das Verbindende und Trennende sowie für die feinen Bewegungen zwischen den künstlerischen Entscheidungen der beiden Persönlichkeiten, nicht zuletzt als Vertreter zweier Generationen. Außerdem geht es um die Frage: was ist Realismus? Die Antwort findet sich zwischen der Kontinuität und den Brüchen eines Kunstbegriffes, eines Kunstbegriffes, der eng mit der Zeit der deutschen Teilung und Wiedervereinigung verbunden ist, die viele Menschenleben prägte.
03.12.2020 bis 21.02.2021
A u f B r u c h
Aurore Millet
Die Ausstellung ist von der Frage inspiriert, inwieweit sich Aurore Millets zwischen 1996 und 2020 entstandene und inhaltlich wie stilistisch vielschichtige Arbeiten in dem Kontinuum einer künstlerischen Entwicklungsbewegung betrachten und verstehen lassen. Die Zeichnungen, Photoprints und Malereien haben gemeinsam, dass es der Künstlerin im Ursprung jedes Schaffensprozesses um das genaue Hinsehen geht: das Blicken zwischen und hinter die Dinge unserer alltäglichen Wahrnehmungswelt und deren Abstraktion oder zum Teil auch Radikalisierung auf das Wesentliche wie Farben, Konturen, Negativ- und Positivformen. Genau hinzusehen bedeutet dabei immer auch aufmerksam, wach und kritisch zu sein wie bspw. in der Serie Reminiscence, die 2001 bis 2004 aus persönlichen Erfahrungen mit dem Kriegsgeschehen in Palästina und Israel entstand.
Zwischen Allem und Nichts steht das Leben - und die künstlerische Freiheit. Aurore Millets Arbeiten fordern uns dazu auf, der Welt immer wieder wachen Auges und Sinnes entgegenzutreten.
Figurescapes - Anne Hoenig
08.10. - 12.11.2020 >> VERLÄNGERT BIS ZUM 26.11.2020!
Die Ausstellung vereint Werke aus vier zentralen Serien von Anne Hoenig: „At Arm’s Length“, „Hard Boiled Painting“, „Time Slice“ und „Men in Suits“, die seit 1993 entstanden sind. Zur Schau gehören auch Porträtarbeiten über Persönlichkeiten wie Jorge Luis Borges, William S. Burroughs, Man Ray oder Inga Humpe. Immer wieder beschäftigt sich Anne Hoenig in ihren Arbeiten mit dem Miteinander von Intimität und Distanz und nicht selten scheint es, als würde sich gerade aus der Unnahbarkeit der Figuren heraus dem Betrachter ein Raum für Emotionen, ja für das Versprechen von Sinnlichkeit und Nähe eröffnen. Als Motive wählt sie Personen, zumeist enigmatische Frauen, in offenbar privaten Lebensmomenten, deren Atmosphären sie mit ihrer ausdruckshaften Gestik und Haltung einnehmen. All dem verleiht eine altmeisterlich plastische und in ihren Farben brillante Maltechnik den Charakter von etwas Geheimnisvollem, Verborgenem. Die Orte, an denen wir die Personen antreffen, stehen immer auch in Resonanz mit deren Innerem und laden uns dazu ein, am Bildgeschehen teilzunehmen, als Vertraute oder heimliche Beobachter.
03.09. - 01.10.2020
Welcome to my zoo
Maria Wirth
Ein Forschungsschwerpunkt der Ausstellung sind Misch- und Mythenwesen, die in ihrer surrealistischen Anmutung so beispiellos wie zukunftsweisend sind. Die Forscherin, Maria Wirth, hat längst nachgewiesen, dass Zu- und Einordnungen wie „weiblich“, „männlich“, „hermaphrodit“ obsolet und gestrig sind und mit der Kreation eigenen Spezies Perspektiven intersexueller Kommunikationen und multiphoner Interaktionen eröffnet, die in ihrer wirklichen Dimension und Wirkung heute noch nicht zu erfassen sind. Auf dem Boden antiker Vorstellungen von Körper und Seele sowie deren zeitloser Metaphorik folgen die von ihr kreierten Wesen und Gefährtenschaften einer Ästhetik jenseits anthropozentrischer Konventionen und rühren an der Frage nach deren Legitimation. Was als Auseinandersetzung mit verzerrten, überdehnten, fragmentierten, zum Teil absurden Körperformen und -posen beginnt, führt so hinter die Fassade des kultivierten menschlichen und des domestizierten tierischen Lebens und auf diesem Wege zur Grundsatzfrage nach Natürlichkeit, Schönheit, Wirklichkeit.
Maria Wirth öffnet nun exklusiv für Sie und Dich ihre Schatzkammern und Labore, ihre Gewächshäuser und Volieren. Staunen und Wundern sind garantiert.
30.07. - 27.08.2020
Berlin: ein Kind, das noch im Traume lacht - Frauke Bohge
„Eine Stunde ist nicht nur eine Stunde; sie ist ein mit Düften, mit Tönen, mit Plänen und Klimaten angefülltes Gefäß. Was wir die Wirklichkeit nennen, ist eine bestimmte Beziehung zwischen Empfindungen und Erinnerungen.“ Marcel Proust
Zeit und Erinnerung bilden für Frauke Bohge inhaltlich und formal ein zentrales Feld zur Auseinandersetzung. In den Landschaften und Stadtansichten drückt sich ihr Gespür für die Verschränkung von Raum- und Zeitdimensionen aus, ihr Gespür für die Bedeutung von Orten als Träger von Erinnerungen. Vor allem markante Orte sind es schließlich, die - als erinnerte oder reale - bewahren, was hinter uns liegt oder einmal liegen wird. In der Ausstellung werden einer Auswahl von Stadtansichten Werke aus Frauke Bohges aktueller Serie zum Thema Kindheit gegenübergestellt. In Malerei und Textil-Collage greift sie die Frage nach der Möglichkeit der Rückkehr in eine vergangene (verlorene?) Zeit unseres Selbst auf. Was ist es eigentlich, das als Vergangenheit oder Kindheit hinter uns liegt? Und was bedeutet diese Kindheit, die wir, erwachsen, in jungen Gesichtern sehen? Die Beantwortung dieser Fragen wäre eine Reise zu den Anfängen der individuellen Persönlichkeit.
25.06. - 23.07.2020
Setzen Sie sich! - Siegfried Kober
Die Ausstellung versammelt Objekte von Siegfried Kober (*1951), die aus drei in Materialcharakter und Formsprache sehr unterschiedlichen Werkgruppen stammen. Kobers Holzfiguren konterkarieren mit ihrer schroffen, aufgebrochenen Oberfläche und ihrem archaischen Ausdruck das Schönheitsideal der antiken Skulptur und beleben dabei zugleich zwei Urmotive der antiken Mythologie neu: das Hervortreten des menschlichen Antlitzes aus der Natur sowie die gestaltende, aber auch zerstörerische Kraft, die in der Hand des Menschen liegt. Im Unterschied dazu zeigen sich die Drahtobjekte leicht, vom Hintergrund durchdrungen. Wie körpergewordene Zeichnungen stehen diese Drahtgeflechte im Raum, flimmernd, das Auge anlockend und gleichsam ins Leere laufen lassend. Kobers graphische Arbeiten auf Leinwand wirken daneben wie Schattenrisse, in die Fläche gebrachte Gegenstücke seiner Objekte. Vor allem, wo die Umrisse der Wildschweine und Stiere in farbmonochrome, schwarz oder weiß angelegte Oberflächen hinein geritzt wurden, zeigt sich die unverwechselbare Fähigkeit des Bildhauers, mit Linie und Kontur im und am Raum zu arbeiten.
Corona Intra Views
21.05. - 19.06.2020
Die Ausstellung versammelt siebzehn Künstlerinnen und Künstler ganz unterschiedlicher Herkünfte, Werdegänge, Lebensphasen, Fragestellungen und Arbeitsstile. Den roten Faden der Ausstellung bildet einerseits die Corona-Pandemie: eine existenzielle, globale Ausnahmesituation im Leben und Arbeiten, die für die Kunstschaffenden wie für alle Menschen zugleich gemeinsame, verbindende wie auch individuell ganz differenzierte Erfahrungen mit sich brachte und bringt. Dies gilt jedoch nur in einem sehr weiten Sinne, denn was dieses künstlerische Zusammentreffen noch viel mehr sichtbar macht, ist das Sensorium der Künstlerin/ des Künstlers für die Bedeutungen zwischen den Zeilen, für den Freigeist, den Witz ebenso wie für das Detail und den kritischen Blick aus der Distanz.
Unweit Jenseits - C.D. Aschaffenburg
06.02. - 19.03.2020
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen Malereien von C.D. Aschaffenburg, die ihn als einen Wanderer zwischen den Welten, einen Kompositeur bewegter Bildräume zeigen. Landschaften, imposante Innenarchitekturen und zum Teil magisch wirkende Figurenszenen verschränken sich ineinander, sodass utopische, an das Unheimliche und Jenseitige grenzende Orte entstehen. Die Kraft der Motive speist sich aus einer besonderen Bildatmosphäre: der Anmutung verborgener aber bedeutsamer Zusammenhänge, dem Versprechen eines tieferen Geheimnisses, jedoch auch einem Aufscheinen von Aufbruch und Besinnung hinter dem Abgrund. Geboren 1953, schuf sich C.D. Aschaffenburg nicht nur als Maler ein Renommee sondern auch als Produzent und Regisseur im Experimentalfilmbereich. Auf der Vernissage wird sein Kurzfilm "Krause, oder ein beschriebener Film ist halt wie ein erzähltes Mittagessen" von 1988 gezeigt.
Körperlichkeit in ihrer Vielfalt an Ausdruckswerten und Typen sowie in ihrer Empfindlichkeit gegenüber jeder Deformierung ist eine leitende Quelle der Arbeiten, die Maria Wirth in der Ausstellung präsentiert. Sie zeigen Körper und Figurenkonstellationen, die fragmentiert sind, in fremdartigen Haltungen verfangen, manchmal nackt und verzerrt, posierend oder tanzend, und immer fragil. Was die Arbeiten inhaltlich verbindet, sind ihre hermetischen Referenzen zu Motiven aus antiken Mythologien und philosophischen Diskursen, die sich für all die Gesichter des Leidenschaftlichen, die Suche nach dem Selbst und den Unbestimmbarkeitszonen des Daseins interessieren.
Der deutsche Philosoph Hermann Schmitz sagte, Kunst sei “das Resultat einer Begegnung des Leibes mit den Gefühlen“. In diesem Sinne verstehen sich die in kraftvolle Farbräume gesetzten Figuren als sichtbare Konterparts von Wirklichkeiten des Gefühls- und Gedankenlebens. Körperlichkeit erweist sich hier als etwas, das vom Geist und dem Gefühlsleben durchdrungen ist, und umgekehrt zeigen sich Geist und Gefühl als etwas, das nicht ohne Körperlichkeit existiert.
Präsentiert werden sechs in ihrer Technik und inhaltlichen Herangehensweise sehr verschiedene Umsetzungen des Genres Portrait. Jede der künstlerischen Positionen für sich, und noch mehr das Nebeneinander ihrer Unterschiede und Gemeinsamkeiten geben Einblicke in die Magie und das intime Gespür für den Anderen, welche künstlerische Portraits besitzen.
Unter Portrait verstehen wir die Darstellung einer Person mit dem besonderen Anspruch, mithilfe künstlerischer Mittel etwas dieser Person Wesentliches festzuhalten. Der lateinische Wortursprung protrahere (hervor-ziehen) erinnert daran, wie eng damit ein Prozess des Entdeckens und Offenlegens verknüpft ist. Es geht um das Ergründen und Sichtbarmachen des Charakters, der Persönlichkeit und auch der Geschichte des zu portraitierenden Menschen. Zugleich spiegelt jedes Portrait immer auch ihren Hervorbringer wider, denn seine Sicht und seine Ausdruckssprache sind es, in deren Licht das Modell erscheint. Der Weg zum gelungenen Portrait ist ein Zwiegespräch mit dem Gegenüber, das der Künstler mittels seines Blickes, seiner Beobachtung und seiner Einfühlung führt. Während es auf der einen Seite das feine Sensorium des Künstlers für die realistische Nachempfindung bezeugt, so transzendiert das Portrait diese zugleich: auf das hin, was wir das „Innere“, das „Wesen“ eines Menschen nennen.
Die 6 Künstlerinnen und Künstler: Sara Assadi - Malerei und Objektrahmen| Jan Beumelburg - Malerei, Zeichnung und Radierung | Frank Jerke - Photographie | Hamid Sadighi Neiriz - Inszenierte Photographie | Ilona Ottenbreit - Malerei und Zeichnung | Boriana Pertchinska - Malerei und Transformation auf Holz und Jute
Figures as Ornaments: Leiber, die zu ornamentähnlichen Formationen werden, ornamentale Strukturen, die zu ausdrucktragenden Körpern auswachsen - Tiere, Menschen, Zwischenwesen. Ein Changieren zwischen Linie, Form und einem metaphysisch aufgeladenen Reich der Gestalten.
Titelgebend für die Ausstellung ist eine Werkserie der Künstlerin Maria Wirth (*1987 Berlin), die seit 2018 von der Dekonstruktion und formalen Verzerrung des menschlichen und immer wieder auch tierischen Körpers in Kommunikation mit Rhythmen ornamentaler oder abstrahierter organischer Formen geprägt ist. Immer wieder geht es um den Moment, in dem Linie und Form in Bewegungssuggestionen, Gefühlsanmutungen und auch synästhetische Charaktere umschlagen: es geht um Gestaltwerdung und Gestaltauflösung. Aus philosophischer Perspektive ist die Werkserie ein Nachdenken über die Einheit und Konsistenz von Identität und Bedeutung.
Als Gastkünstler begrüßen wir den Iraner Mohsen Tighbakhsh alias Tiba (*1968 Teheran). Seine Malgründe sind handgewebte Teppiche vor allem aus Iran aber auch aus anderen Ländern wie Türkei, Griechenland und Nordafrika. Sie sind Zeugen uralter Lebensformen und besitzen je nach Herkunft spezielle Farben, Strukturen, Materialien und Alter. Unter Tibas Händen, seinerseits auch Meister der Webtechnik und virtuoser Tätowierer, entstehen auf diesen seltenen Teppichen spiralisch konturierte Figuren, die den rauen, haptischen Charakter des Hintergrundes mit farbiger Strahlkraft und einer Leichtigkeit in der Form durchbrechen. Jedes Motiv findet seine Balance in einem Miteinander von Figuration und Abstraktion.
Zwielicht. Mit der Dämmerung wird alles Sichtbare in eine unheimliche Mehrdeutigkeit getaucht. Diesem Übergang von Tag zu Nacht, der unsere Wahrnehmungen unsicher werden lässt, wohnen eine eigentümliche Magie und das Vermögen inne, unsere Phantasie in Bewegung zu versetzen. Die Ausstellung versammelt Arbeiten von Dana Bennewitz und Jan Beumelburg, in denen sich der Begriff des „Zwielichts“ in seinen ganz verschiedenen Bedeutungen widerspiegelt. Wir begegnen der geheimnisvollen Ambivalenz von Träumen und alten Mythen, Auseinander-setzungen mit dem „Unbewussten“ und originellen Lösungen für einen Spagat zwischen Wirklichkeit und Imagination.
Ahnungen des Geheimnisvollen und Magischen haben schon immer menschliche Gesellschaften begleitet. Jedoch: Sind wir heute ihrer nicht umso mehr bedürftig, heute, in einer Welt der Ökonomiefixierung, Rationalisierung und Effektivierung? Das ist eine der Fragen, die uns diese Ausstellung mitgeben kann.
Die Frage nach dem Ich ist seit der Moderne der Scheidepunkt für das Gelingen des eigenen Lebens - We are made and we are making characters. In dieser Ausstellung lassen sich Sara Assadi (Iran), Maria Wirth (Deutschland) und Marek Benczewski (Polen) von der Bedeutungskomplexität des englischen Wortes Character inspirieren, um zeitgenössische Vorstellungen und Erfahrungen des Selbst mit künstlerischen Mitteln zu reflektieren. Das Selbst als „Character“ ist Persönlichkeit, ist individuelle Psyche, ist Expression, ist Imperativ. Es ist ein sowohl gemachter wie auch sich selbst kreierender Prozess. Um das sichtbar zu machen, experimentieren die drei KünstlerInnen mit dem „UnMaking“, das heißt, der Dekonstruktion von Charakteren. Der Gehalt ihrer Arbeiten entsteht durch das Auflösen, das Entflechten von klaren Rollen, Formen und Vorstellungen.
Surreal Gardens between Baku and Berlin - erstmalig präsentieren Günay Shamsi, Aserbaidschan, und Maria Wirth, Deutschland, gemeinsam in einer Ausstellung ihre Malereien und Objekte. Auf je individuelle Weise versetzen sie surrealistische Gestaltungsprinzipien und Motive in ein neues, lebendiges und experimentierfreudiges Feld junger, postpostmoderner Kunstschöpfung.
Die facettenreichen, feinsinnigen und diskussionsstiftenden Ideenwelten, die in den Kunstwerken von Günay Shamsi und Maria Wirth zu Sichtbarkeit gelangen, sind in dieser Ausstellung darüber hinaus zu einer ästhetischen Gesamtkomposition verbunden: zu einem surrealen Garten, der zum Durchwandern und Durchdenken einlädt.